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Flop Schwyz, Flop!

Die Schweizer Nati ist mit ihrem Schablonenfußball ausgeschieden. Nach dem Tiefpunkt der WM könnte der Horror auf dem Rasen im Viertelfinale weitergehen – wenn die Ukraine auf Italien trifft

AUS KÖLN BERND MÜLLENDER

Die Kölner Zuschauer hatten schon Mitte der zweiten Halbzeit die Schnauze voll. Abwechselnd donnerten Hymnen auf Lukas Podolski und ihr geliebtes Colonia durchs Stadion, kurz vor dem Abpfiff steigerten sie sich noch mal: „Ihr könnt nach Hause fahren!“, brüllten sie allen Dilettanten auf dem Rasen gemeinschaftlich zu. Zwischen diesen ohrenbetäubenden Pfeifkonzerten wurden Reporter von eben noch neidischen Freunden angerufen und verhöhnt, dass sie sich diese Horrorshow live angucken müssen.

Was die Schweiz und die Ukraine am späten Montagabend in limitierter Eintracht 126 Minuten lang veranstalteten, um einen Viertelfinalisten zu gebären, war der Tiefpunkt dieses Turniers. Und das will nach der Begegnung England gegen Ecuador schon etwas heißen. Kaum Chancen, verstolperte Schüsse, Ballverluste im Sekundentakt. Am Ende hatte die Ukraine die Abseits-Statistik triumphal mit 1:0 gewonnen, dafür bei den Gelben Karten 0:1 verloren. Ganze zwei Mal hatten ukrainische Ballquäler Richtung Tor zielen können, selbst im Elfmeterschießen versagten die ersten beiden Schützen (Marco Streller und Andrej Schewtschenko). Da wollte man schon glauben, lebenslang mit diesem Spiel gefoltert zu werden. Wundersamerweise ging es dann doch irgendwie aus: 3:0 für die Ukraine, weil die blamierten Schweizer Nati-Helden nicht einen einzigen Strafstoß versenken konnten.

Ukraines Coach Oleg Blochin, in dessen kantigem Schädel sich vor lauter Glück nachher sogar weiche Gesichtszüge breit machten, verteidigte das Grauen: „Wir spielen eben vorsichtig, Ergebnisfußball“; man habe „taktische Prioritäten“ setzen und „den Gegner drosseln“ müssen. Und weil das Spiel der Schweizer „unserem sehr ähnlich“ sei, habe man quasi gegen sich selbst gewonnen: „Wir haben gegen eine zweite Ukraine gespielt.“ Oder spielte die Ukraine wie die Schweiz des Ostens?

Zwei identische Spielphilosophien waren aufeinander geprallt: Kontrolle, kein Risiko, Grätschenslust, Offensive nur zum Atemholen bei der Abwehrarbeit. Dazu in einer spezifisch heiklen Situation: Beide sahen in dem jeweils schlagbar erscheinenden Gegner, die einmalige Chance aufs Weiterkommen. Vor allem war da der identische Gedanke: Gegen die müssen wir wirklich nicht verlieren. Beide Mannschaften waren dadurch angstvoll gelähmt.

Die frustrierten Schweizer Kicker sprachen nachher von Stolz, einem tollen Turnier, großer Erfahrung und von Lernhilfen für 2008, wo sie daheim bei der Europameisterschaft alles besser machen wollen. „Das Schicksal war uns nicht gnädig“, sagte Rafael Wicky. Und Elfmeterverschießer Ricci Cabanas ergänzte: „Alles in allem können wir mit unserer Performance sehr zufrieden sein.“

Einspruch: Im Rückblick war der Turnierauftritt der Schweiz deutlich enttäuschender, als er vielfach kommentiert wurde. Nie haben sie in vier Spielen zu ihrem avisierten schnellen Kurzpassspiel gefunden. Sie propagierten die Moderne und zeigten nur biederen Schablonenfußball. Und so reicht es nur für einen Eintrag in das Geschichtsbuch: Die Schweiz ist gegentorlos ausgeschieden, das haben in der WM-Historie nicht einmal italienische Destruktiv-Akrobaten geschafft.

Italiens derzeitige 1:0-Fußballer spielen nun gegen die Ukraine, am Freitag in Hamburg. Alle Prognosen sehen die Fortsetzung der Horrorshow auf dem Rasen. Eine Regeländerung könnte vielleicht abhelfen: Macht bitte ab sofort für alle Fälle ein Elfmeterschießen vor jedem Spiel. Das wäre ein nettes Warm-up für alle – und mindestens ein Team müsste auf Sieg spielen.

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