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Archiv-Artikel

Energiewende auf Geisterfahrt

STROMBÖRSE Seit über 20 Jahren ist nicht mehr so viel Strom aus Braunkohle erzeugt worden. Darunter leiden saubere Erdgaskraftwerke

Ausgerechnet der schmutzigste Energieträger ist momentan der einträglichste

VON BERNWARD JANZING

FREIBURG taz | Die Stromerzeugung aus Braunkohle in Deutschland hat im Jahr 2013 den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung erreicht. Das geht aus vorläufigen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hervor. Ursache ist allerdings weniger der Atomausstieg als vielmehr eine Verschiebung der Gewichte im Spektrum der fossilen Energien.

Parallel zum Kohleboom brach die Erzeugung der Erdgaskraftwerke um 22 Prozent ein. In der Gesamtbilanz erzeugte Deutschland weniger Strom aus fossilen Energien als im Vorjahr. Auch gegenüber dem Vor-Fukushima-Jahr 2010 war die Erzeugung aus fossilen Energien 2013 etwas geringer.

145 Milliarden Kilowattstunden Braunkohlestrom nutzten die Deutschen im Jahr 2013, zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Das macht einen Anteil von 25,8 Prozent des gesamten Stromverbrauchs aus. An zweiter Stelle folgen erneuerbare Energien mit 23,4 Prozent.

Ausgerechnet der schmutzigste Energieträger ist momentan der einträglichste, was sich an den Laufzeiten der verschiedenen Kraftwerkstypen zeigt: Während die Braunkohlemeiler im Jahr 2013 zu fast 91 Prozent ausgelastet waren, kamen die Steinkohlekraftwerke auf 65 Prozent und die Gaskraftwerke nur noch auf 18 Prozent, wie das Fraunhofer ISE auf Basis von Daten der Leipziger Strombörse berechnete.

Die hohen Laufzeiten der Kohlekraftwerke sind auch dadurch bedingt, dass Deutschland in erheblichen Mengen Kohlestrom für das Ausland erzeugt. Große Mengen flossen in die Niederlande, weil der deutsche Kohlestrom billiger ist als der Strom aus den dortigen Gaskraftwerken. Nach vorläufigen Daten der AG Energiebilanzen erzielte Deutschland im vergangenen Jahr einen neuen Rekordüberschuss beim Stromexport in Höhe von 33 Milliarden Kilowattstunden.

Hintergrund der europaweit erkennbaren Verschiebung vom Erdgas zur Kohle ist der darniederliegende Emissionshandel, der eigentlich klimaschädliche Energieträger wie Braunkohle teurer machen sollte: Momentan kostet der Ausstoß von einer Tonne Kohlendioxid nur knapp fünf Euro. Die Umweltorganisation Germanwatch spricht angesichts des Kohlebooms von einem „dramatischen Weckruf für die Große Koalition“. Der Bund für Umwelt und Naturschutz forderte, den CO2-Zertifikatehandel zügig zu reformieren. Zudem müsste es neue Effizienzstandards geben, damit die dreckigsten Meiler als Erste vom Netz kommen.

Dass in den nächsten Jahren zahlreiche fossile Kraftwerke stillgelegt werden, liegt nahe –schlicht, weil deren Strom nicht mehr benötigt wird. Deutlich zeigt das die Strombörse, wo ein Überangebot die Preise drückt: Wer am Terminmarkt Strom für die nächsten drei Jahre einkauft, bezahlt derzeit weniger als 36 Euro je Megawattstunde; vor fünf Jahren lagen die Preise noch bei 70 Euro. Eine ganze Reihe von fossilen Kraftwerken ist damit nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben, eine Marktbereinigung somit absehbar. Fraglich ist lediglich, welche Art von fossilen Kraftwerken in den nächsten Jahren stillgelegt werden.

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