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Archiv-Artikel

Freiheit zum Dialog

Ein Denker in der Ausübung der Verständigung: Der Philosoph Albrecht Wellmer hat die Frankfurter Schule aus Adornos und Horkheimers Sound des Grand Hotel Abgrund mit herausgeführt. Im September erhält er dafür sehr passend den Adorno-Preis

VON MARCO STAHLHUT

Der Adorno-Preis bleibt dieses Jahr in der Familie. Der Adorno-Schüler Albrecht Wellmer wird ihn, wie jetzt bekannt gegeben wurde, am 11. September in Frankfurt am Main in Empfang nehmen. Bei der letzten Verleihung 2003 an György Ligeti gehörte Wellmer sogar zum Preiskuratorium. Freilich scheint die Wahl auch sehr passend

Bereits die Titel vieler Bücher des Berliner Philosophen erinnern an Adorno. Das bekannteste, „Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne“, trägt den Untertitel „Vernunftkritik nach Adorno“. Was Wellmer aber mehr als andere Denker aus dem Umkreis der Frankfurter Schule auszeichnet und Adorno anähnelt, ist der glückliche Zusammenfall von sprachlicher Eleganz und inhaltlicher Erschließungskraft in seinen Texten. Mit Adorno teilt Wellmer zumal die persönliche wie philosophische Begeisterung für die Kunst: „Ohne ästhetische Erfahrung und ihre subversiven Potenziale müssten unsere moralischen Diskurse blind und unsere Interpretationen der Welt leer werden.“

Philosophisch folgt Wellmer der Habermas’schen Kritik am bewusstseinsphilosophischen Ansatz Adornos wie überhaupt der frühen Frankfurter Schule. Dieser lasse für das kommunikative Moment des Geistes qua Sprache keinen Raum. Zur Sphäre eines an Sprache gebundenen Geistes gehöre die Intersubjektivität der Verständigung aber ebenso wie die Objektivierung von Wirklichkeit im instrumentellen Handeln – und damit die symmetrisch-kommunikative Beziehung zwischen Menschen ebenso wie die asymmetrisch-distanzierende zwischen Subjekt und Objekt. Das klingt abstrakt, zielt aber darauf, Freiheitspotenziale als reale geschichtliche Möglichkeit denken zu können. Mit der Umstellung auf Sprachpragmatik fällt bei Wellmer das unheilsverliebte Pathos Adornos und Horkheimers, der Sound des „Grand Hotel Abgrund“, weg. Ein nüchternerer Tonfall hält Einzug, aber keiner, der den Staub von Aktendeckel atmet. Anders als Habermas vertritt Wellmer in seinen Überlegungen zu „Ethik und Dialog“ keinen starken Universalisierungsanspruch, er orientiert sich am „Konsens zum Gespräch“.

Im Mai 68 hielt Wellmer, damals noch Assistent von Habermas, in der besetzten Frankfurter Universität politische Seminare ab. An der Freien Universität Berlin, an der er von 1990 bis zu seiner Emeritierung lehrte, galt er vielen Studierenden dagegen als elitär. Wohl unvermeidlich, wenn hohe intellektuelle Ansprüche auf eine gewandelte politische Situation und eine so genannte Massenuniversität stoßen. Auch in Berlin konnten seine Hörer aber den seltenen Fall eines Professors erleben, der wirklich gerne zu lehren schien. Die Diskussion mit den Studierenden war bei ihm kein leeres Ritual. Dass die Sprache „erst im Gespräch, also in der Ausübung der Verständigung ihr eigentliches Sein“ habe, wie es in Wellmers Vorlesungen zur Sprachphilosophie heißt, konnte hier konkret erlebt werden.

Heute lesen sich Wellmers 2004 in Buchform erschienene Überlegungen zur Sprachphilosophie allerdings merkwürdig unberührt von den Änderungen kommunikativer Verständigung durch Internet und Neue Medien. Grundsätzlicher scheint die Philosophie-, die „Theorie“-Zentriertheit des intellektuellen Diskurses der Neunzigerjahre inzwischen Vergangenheit zu sein. Verwundert staunt man im Rückblick, wie wichtig sich zumal die Debatte um die Postmoderne nahm. Als habe wirklich die Vernunft der Welt auf dem Spiel gestanden und nicht nur die einiger Philosophen.

Seine philosophischen Schüler Christoph Menke und Martin Seel haben Albrecht Wellmer einen „zögernden“ philosophischen Gestus zugesprochen, zögernd „zwischen These und Antihese, zwischen Ja und Nein, zwischen Frage und Antwort“. Das ist eine letzte, sehr sympathische Unzeitgemäßheit Wellmers, eine philosophische Haltung, die gegenwärtig unter dem Veröffentlichungszwang, dem Zwang zum Herausschreien „innovativer“ Thesen zur Drittmittel-Einwerbung, verloren zu gehen droht. Das veröffentlichte Werk Wellmers ist schmal geblieben. Schön wäre, wenn die Verleihung des Adorno-Preises an ihn daran erinnern könnte, dass Quantität und Lautstärke kein Maßstab für intellektuellen Rang sind.