: Burgfrau mit Seeblick
Hamburgs Außenposten Neuwerk an der Elbmündung ist ein prima Ziel für ein verlängertes Wochenende. Highlight: Eine Übernachtung im historischen Wehrturm, der das Inselchen beherrscht
von Gernot Knödler
Die Insel Neuwerk liegt wie eine Festung an der Elbmündung: außenrum ein Wall, dahinter ein trutziger Turm. Der Deich ist vier Kilometer lang. In nur einer Stunde ist man rum. Doch das Inselchen hat erstaunlich viel zu bieten: aufschlussreiche Wattwanderungen, attackierende Austernfischer, faszinierendes Wetter und einen gewaltigen Horizont.
Im Jahre 1299 erlaubten die Herzöge von Sachsen-Lauenburg den Hamburgern, im Wattenmeer ein „Werk“ zu errichten: den 35 Meter hohen, quadratischen Wehrturm aus Backstein als Seezeichen und zur Sicherung gegen Piraten. Um den Turm herum gibt es einen Quadratkilometer eingedeichtes Land. Dazu kommen zwei Quadratkilometer Vorland. Rund 40 Einwohner leben von der Landwirtschaft und jährlich 120.000 Touristen. Seit 1990 ist Neuwerk das Zentrum des Nationalparks Hamburgisches Wattenmeer.
Der Turm dürfte die attraktivste Unterkunft auf der Insel sein, auf jeden Fall aber die romantischste. Wie Ritter oder Burgfräulein sitzen die Gäste in den Fensternischen ihrer Zimmer. Der Blick schweift von den Weiden über die Salzwiesen und das Watt hinüber zum Festland und zur Elbfahrrinne am Horizont, wo ein Riesenschiff ums andere durch das Watt zu pflügen scheint. Es gibt nichts Behaglicheres, als bei Sturm in dieser Trutzburg zu sitzen und die grandiose Aussicht auf Wolkengebirge und Blitze zu genießen.
Bis vor wenigen Jahren gab es im Turm eine „Herrenetage“, die Senatsmitgliedern vorbehalten war. Heute vermietet die Pächterin Antje Göttsche zwei Einzel- und drei Doppelzimmer ohne Ansehen der Person für 55 Euro inklusive Frühstück. Eine zeitige Anmeldung ist ratsam.
Wenige Meter von der Turmwarft entfernt liegt das 2003 eröffnete neue Nationalparkhaus. Eine Ausstellung macht den Besucher mit den Tieren, Pflanzen und der Theorie der Gezeiten vertraut. Für die Praxis gibt es die Führung „Die Flut kommt“.
Eine junge Frau, die im Nationalpark ihr freiwilliges ökologisches Jahr absolviert, führt die Besucher durch einen flachen Priel auf die Erste Sandbank vor dem Deich. Sie ist noch immer dabei, Fragen zu beantworten, als die Sandbank vom Wasser überspült wird. „Höchste Zeit für den Rückweg“, sagt sie.
In der Tat: Der Priel ist zu einem knietiefen Strom angeschwollen. Es wird beängstigend deutlich, wie schnell der Rückweg aus dem Watt abgeschnitten ist. Auf der Wanderweg von Neuwerk zum Festland gibt es deshalb drei Käfige auf hohen Pfählen, in die man sich retten kann.
Der Wanderweg ist mit jungen Bäumchen markiert und leicht zu finden, zumal Karawanen pferdebespannter Wattwagen die weniger Sportlichen zur Insel transportieren. Trotzdem empfiehlt sich eine geführte Wattwanderung. Wenn der Wattführer mit der Forke eine Scholle aus dem Boden hebelt, dehnen sich beim Auseinanderbrechen dünne rote Fäden zwischen den einzelnen Teilen. Sie sehen aus wie Adern. Gruselig.
Es ist der Kotpillenwurm. Er frisst den Schlick, wobei er die organischen Partikel verdaut und den Rest als pillenförmige Häufchen ausscheidet. Auffälliger sind die Ausscheidungen des Wattwurms, die selbst aussehen wie Würmer. Der Wattwurm kann sich seines Hinterteils entledigen, falls ihn ein Vogel zu fassen kriegt, und sich auf diese Weise retten. Es reicht, mit dem Finger ein wenig dran zu schnippen, und der Wurm schnürt ein paar Körpersegmente ab. Ein freundlicheres Spiel ist das Herzmuschelrennen: Man gräbt sie aus dem Boden und jeder Teilnehmer setzt eine in eine flache Pfütze. Nach kurzer Zeit fahren die Muscheln ihren Grabefuß aus und beginnen, sich in den Boden zu wühlen. Die erste, die verschwunden ist, bestimmt den Sieger.
Abenteuerlich kann ein Spaziergang durch die Salzwiese werden. Hier brüten die schwarzweißen Austernfischer mit ihren knallroten Schnäbeln. Wer ihren Nestern zu nahe kommt, wird im Sturzflug attackiert. Wegen seines niedlichen Aussehens hat es der Vogel zum Maskottchen des Nationalparks gebracht.
Informationen zur Insel unter www.wattenmeer-nationalpark.de und bei der Nationalparkverwaltung: 04721/ 69271. Anreise gezeitenabhängig mit der MS Flipper ab Cuxhafen oder mit Wattwagen ab Sahlenburg.