: Großes Beleidigtsein
AUS WARSCHAUGABRIELE LESSER
Majestätsbeleidigung oder Pressefreiheit? In Polen gehen die Wogen hoch. Darf Satire, die sich gegen den Präsidenten richtet, mit Gefängnis bestraft werden? Gilt das auch, wenn sie im Ausland erschienen ist? Ginge es nach dem Fraktionsvorsitzenden der regierenden Recht und Gerechtigkeit (PiS), Przemyław Gosiewski, müsste der taz-Satire-Autor Peter Köhler für ein bis zwei Jahren hinter polnische Gitter. Beleidigung des Staatspräsidenten ist in Polen ein Straftatbestand. „Sollte es zu einer Anklage in Polen kommen“, so Gosiewski gestern, könnten wir zum Mittel des internationalen Strafrechts greifen.“ Man würde einen europäischen Haftbefehl erlassen.
Lech Kaczyński, Polens Staatspräsident, äußerte sich gestern erstmals selbst zur taz-Satire. Der Artikel gehe über alle Grenzen hinaus, „wenigstens in unserer polnischen Zivilisation“, sagte er. Der Text sei „schändlich“, er betreffe nicht nur Politiker, „sondern auch meine Mutter, die kein Politiker ist“. Der Autor der Satireserie über „Schurken, die die Welt beherrschen wollen“, hatte sich in seinem Kaczyński-Porträt darüber lustig gemacht, dass Kaczyńskis Zwillingsbruder Jarosław bei der Mutter wohnt.
Präsidialkanzlei wie Außenministerium vergleichen die taz nun offen mit dem Nazi-Hetzblatt Stürmer. Die Gazeta Wyborcza zeigte gestern ein Foto von der Präsidenten-Website. Eine Ausgabe des Stürmers war zu sehen – als Illustration zu einem Text des Präsidialkanzlei-Ministers Maciej Łopiński. Gestern Vormittag allerdings waren dort nur noch das Porträt Łopińskis und seine empörten Sätze von „blauäugigen Deutschen“ und „polnischen Kartoffeln“ zu lesen. Diese Verbindung habe bereits der Stürmer gezogen. „Es wundert mich, dass die deutschen Politiker, die deutsche politische Klasse den Text so behandelte, als wäre nichts geschehen.“
Die Parlamentsfraktion der PiS bat nun Justizminister Zbigniew Ziobor darum, die Satire, die die taz am 26. Juni unter dem Titel „Polens neue Kartoffel … Heute Lech ‚Katsche‘ Kaczyński“ veröffentlichte, auf den Straftatbestand der Beleidigung des Staatsoberhauptes Polens zu überprüfen (s. unten). Der Satz „Der Mond ist ihm näher als Deutschland oder Russland“ stelle die Intelligenz des Präsidenten in Frage. Auf einem Vortrag hatte Kaczyński noch kurz vor seiner Wahl zum Präsidenten Deutschland und Russland als die gefährlichsten Gegner Polens bezeichnet.
Polens nationalkonservative Politiker sind überzeugt, dass die kleine Satire auf der letzten Seite der taz dem Ansehen des polnischen Präsidenten und überhaupt Polens enormen Schaden zugefügt habe. Neben dem lautstarken Protest, der inzwischen auch international Wellen schlägt, soll nun eine neue Abteilung im polnischen Außenministerium darauf achten, dass das Bild Polens im Ausland ein positives ist. Wie diese Abteilung demnächst verhindern will, dass satirische oder kritische Beiträge über Polen in ausländischen Medien erscheinen, ist noch nicht klar.
Kritik am Präsidenten und der derzeitigen Außenpolitik Polens übten allerdings in einem präzedenzlos scharfen Brief alle bisherigen Außenminister Polens. Den Weimarer Gipfel wegen Ärger über eine Satire oder einer kleinen Unpässlichkeit ausfallen zu lassen, zeuge von „Missachtung der europäischen Partner“. Die PiS reagierte prompt: Sie klagte die acht Ex-Außenminister nun der Diversion und der „Angst vor dem großen Staat“ an.