Rechts ab nach Europa

EU-WAHLEN Die AfD gibt sich auf ihrem Parteitag als Hort konservativer Familienwerte und nationaler Interessen gegen Demokratiedefizite der EU-Institutionen. Ganz vorn auf der Liste für die Europawahlen: Lucke und Henkel

„Nicht einen einzigen Verrückten, Neonazi oder Spinner gesehen“

HANS-OLAF HENKEL

AUS ASCHAFFENBURG ARNO FRANK

Mit einem Bundesparteitag im nordbayerischen Aschaffenburg hat die europakritische Alternative für Deutschland (AfD) ihren Europawahlkampf eingeläutet.

Erwartungsgemäß wurde von den rund 350 Delegierten der Vorsitzende, Bernd Lucke, auf den ersten Platz gewählt, seine wichtigste Neuerwerbung, der ehemalige Industriekapitän Hans-Olaf Henkel, landete auf dem zweiten Listenplatz. Für die übrigen 30 Plätze herrschte am Samstag ein unerwarteter Andrang von rund 100 KandidatInnen, sodass der Parteitag verlängert werden muss, zumal über das eigentliche Programm für die Europawahl noch nicht diskutiert werden konnte.

In ihren Reden ließen Lucke und Henkel keine Zweifel darüber aufkommen, mit welcher Erzählung die AfD über die 3-Prozent-Hürde kommen will, die – einfacher als das 5-Prozent-Minimum bei Bundestagswahlen – zu überspringen sein wird: „Wir standen da wie David gegen Goliath, aber ohne Steine und Schleuder“, erinnerte Lucke an die Anfänge der Partei vor nicht einmal einem Jahr. Inzwischen, so die Botschaft, gebe es Geld und Personal, Steine und Schleuder. Die Rolle des Goliath wies Lucke abwechselnd den „europäischen Institutionen“ und einer Allianz der „Altparteien“ zu, die er allesamt einer „unkritischen proeuropäischen Rhetorik“ bezichtigte.

Die Linkspartei attackierte Lucke launig mit Versen von Heinrich Heine, seine schärfsten Angriffe aber richtete er gegen jene Partei, die seiner eigenen am nächsten steht – die CSU. Hier bemühte der belesene Lucke den Dichter Matthias Claudius, um den CSU-Chef Horst Seehofer zu charakterisieren, der der AfD mit einem „harten Wahlkampf“ gedroht hatte. Der sei ein „gar gefährlich Mann“, ein „entsetzlich großes Maul, doch nur ein kleines Hirn“. Angela Merkel bezeichnete Lucke als SPD-Politikerin, und für die „Umfallerpartei“ FDP hatte er nur Spott übrig – tatsächlich liegt laut einer aktuellen Emnid-Umfrage die AfD derzeit mit 7 Prozent nur knapp hinter der Linken, die FDP abgeschlagen bei 3 Prozent.

Seine kritisch-antieuropäische Rhetorik zielte, nicht ungeschickt, auf das Demokratiedefizit der Institutionen in Brüssel. Vor allem durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sehen Lucke und seine Anhänger die Autonomie deutscher Banken und damit „nationale Interessen“ gefährdet. Hans-Olaf Henkel flankierte diese Positionen in seiner Rede mit Seitenhieben auf die Türkei („undemokratisch“) und den Islam als solchen, der ja überall vor allem auch die Rechte der Frau beschneide. Mit Henkel hat die AfD ein Zugpferd gewonnen, das wirtschaftsnah und somit kompetent erscheint. Seine dandyhafte Seriosität kommt bei Wutbürgern wie bei Wirtschaftsexperten gut an – auf beiden Flügeln einer Partei, der Henkel in gönnerhafter Kurzsichtigkeit bescheinigte, in ihr bisher „nicht einen einzigen Verrückten, Neonazi oder Spinner gesehen“ zu haben.

Ebenfalls aufschlussreich waren die Reden der übrigen Kandidaten. Darin wurde unter anderem gefordert, die „kleinen Leute“ mehr in den Blick zu nehmen. Deren Stimmen seien nötig, damit der „Mittelstand“ nicht weiter „zermahlen“ wird. Das Europaparlament wurde als „Herz der Finsternis“ bezeichnet, immer wieder stellten sich Kandidaten als „heterosexuell“ vor und ernteten Applaus für die große Zahl ihrer Kinder. Dem traditionellen Reservoir konservativer Weltanschauungen – Kinder und Familie sowie kinderreiche Familien – gilt nun auch das besondere Augenmerk der AfD. Vorbei die Zeiten, da alleine der Euro bekämpft werden sollte.

Zuweilen zeigte der Parteitag chaotische Züge, wie man sie vielleicht von entsprechenden Veranstaltungen der noch jungen Grünen kennt. Geordneter ging es da schon vor der Halle zu, wo etwa 100 Menschen einer Kundgebung gegen Rechtspopulismus gefolgt waren.

Deren Argumente prangten bereits als Graffiti an einer Wand des Tagungsgebäudes. Sie lauteten „Verpisst euch“ und „Haut ab“.