: So schleifen Sie die Feinstaubrichtlinie!
von BEATE WILLMS
1. Bieten Sie hektischen Aktionismus auf.
Es geht um Staub im Straßenverkehr? Na, spritzen Sie doch den Asphalt mit Wasser ab. Das bringt zwar gar nichts, weil der Staub wieder aufsteigt, sobald die Straße wieder trocken ist. Das hat inzwischen auch ein Modellversuch in Berlin bewiesen. Aber es schafft Beschäftigung und demonstriert, dass Sie das Problem sehen und versuchen, etwas zu tun. Verbieten Sie Lagerfeuer und öffentliches Grillen, um der Bevölkerung zu zeigen, dass die Feinstaubbekämpfung kein Spaß ist und auch persönliche Opfer bedeuten würde.
2. Halten Sie sich den Rücken frei!
Blockieren Sie alle Folgegesetze, die den Feinstaub tatsächlich bekämpfen würden. Wozu gibt es einen Bundesrat? Führen Sie beispielsweise die Plakettenverordnung ad absurdum. Die Bundesregierung will damit Fahrzeuge nach Schadstoffausstoß kennzeichnen. Schlagen Sie also einfach weniger Unterscheidungen und Klassen vor – das sieht nach Vereinfachung aus. Achten Sie darauf, dass Sie Dieselfahrzeuge mit und ohne Rußpartikelfilter in die gleiche Gruppe einordnen, damit sie nicht mehr unterscheidbar sind. Damit werden differenzierte Fahrverbote für die größeren Feinstaubsünder unmöglich. Wehren Sie sich gegen eine steuerliche Förderung von Dieselrußfiltern – behaupten Sie zur Not, das sei zu teuer. Das versteht in Zeiten klammer Kassen jeder. Vor einer Dieselrußfilterpflicht, wie sie etwa die Schweiz gerade einführen will, brauchen Sie keine Angst zu haben. Das traut sich auch die Bundesregierung nicht.
3. Entwickeln Sie Ihre eigene Logik: Weil die Grenzwert keinesfalls einzuhalten sind, müssen sie weg!
Die EU-Feinstaubrichtlinie gibt zwei Grenzwerte vor. Im Jahresdurchschnitt dürfen nicht mehr als 40 Mikrogramm Feinstaub in einem Kubikmeter Luft gemessen werden. Innerhalb von 24 Stunden sind es 50 Mikrogramm – wobei 35 Überschreitungen im Jahr erlaubt sind. Der Jahreswert kann Ihnen ziemlich egal sein: Erstens ist er relativ hoch. Zweitens lässt er Ihnen Zeit. Ihr Problem ist der Tagesgrenzwert. An dem zeigt sich sehr schnell, wo die Luftbelastung zu groß ist. Und außerdem, wo Sie keine ordentliche Vorarbeit geleistet haben: Dazu hätten Sie den innerstädtischen Lkw- und Pkw-Verkehr reduzieren, den Verkehrsfluss verbessern, die Geschwindigkeit beschränken und den öffentlichen sowie den Fahrradverkehr stärken müssen.
Konzentrieren Sie sich also darauf, diese Tagesgrenzwerte loszuwerden. Reden Sie von zu viel Bürokratie und mangelnder Flexibilität. Oder noch besser: Verweisen Sie darauf, dass auch in diesem Jahr schon mindestens 35 Messstellen mehr Überschreitungen gemeldet haben als erlaubt – und schlussfolgern Sie frech: Der Grenzwert ist gar nicht einzuhalten, deshalb muss er weg. Lassen Sie aber bloß nicht rauskommen, dass die Schweiz locker mit einem Jahresgrenzwert von 20 Mikrogramm auskommt und nur eine einmalige Überschreitung ihres Tagesgrenzwerts von ebenfalls 50 Mikrogramm erlaubt. Und dass sich auch innerhalb der EU alle wundern, wieso Deutschland solche Schwierigkeiten hat.
4. Profilieren Sie sich als Vorreiter im Kampf gegen die Partikel.
Erklären Sie, dass die Feinstaubrichtlinie eigentlich am Thema vorbeigeht. Mit einem Satz wie „Die kleinen Stäube sind viel giftiger als die größeren“ demonstrieren Sie, dass Sie wissen, wovon Sie reden: Wie stark die Wirkung der Partikel ist, hängt unter anderem von ihrer Größe ab. Je gröber sie sind, desto früher werden sie im Atemtrakt abgefangen. Nur Partikel, die kleiner als 10 Mikrometer sind, können den Kehlkopf passieren – deshalb gilt der Grenzwert bei der Feinstaubrichtlinie auch für diese so genannten PM10. Von diesen wiederum können Teilchen unter 4 Mikrometer bis in die Bronchien und solche unter 2,5 Mikrometer (PM2,5) bis in die Lungenbläschen gelangen. Vermutlich am gefährlichsten sind ultrafeine Partikel unter 1 Mikrometer. Sie können auch in die Blutbahn eintreten.
Neben der Größe können aber beispielsweise auch die chemische Zusammensetzung oder die Oberflächenstruktur Staubteilchen besonders gefährlich machen. Zwar bezweifelt in der Wissenschaft niemand, dass auch Partikel der Größe PM10 lebensverkürzend wirken. Aber wenn Sie es schaffen, die Öffentlichkeit für die besonderen Gefahren von PM2,5 zu interessieren, rücken die Grenzwerte für PM10 wie von selbst in den Hintergrund. Und das Beste: Zu PM2,5 gibt es bisher noch zu wenig verlässliche Messdaten, auch die Messmethode ist noch strittig. Sie gewinnen also jede Menge Zeit.
4. Halten Sie bloß die Weltgesundheitsorganisation außen vor!
Die UN-Behörde könnte Ihnen Ärger machen. Sie interessiert sich mehr für die Gesundheit der Bevölkerung als für Ihre finanziellen und politischen Probleme. So rechnet sie vor, dass Feinstaub die durchschnittliche Lebenserwartung um rund ein Jahr verkürzt. Allein in Deutschland sterben jährlich etwa 75.000 Menschen vorzeitig, weil die Belastung durch die Partikel ihr Herzkreislauf- oder Atemsystem angegriffen oder innere Organe geschädigt hat. Untersucht wird derzeit auch, ob es einen Zusammenhang zwischen Alzheimer oder Parkinson und feinsten Staubteilchen gibt, die über Blut und Geruchsnerven ins Gehirn gelangen. Besonders unangenehm ist, dass die Wissenschaftler bislang keine Schwellenkonzentration festgestellt haben, unter der keine Gefahr für die Gesundheit besteht. Feinstaub ist also praktisch in jeder Menge giftig. Die WHO hat ihre Luftqualitätsrichtlinien deshalb erst kürzlich aktualisiert und schlägt einen Jahresmittelwert von 20 vor, der Tagesgrenzwert von 50 Mikrogramm soll nur noch an 4 Tagen im Jahr überschritten werden dürfen.
5. Suchen Sie sich eigene Feinstaub-Experten!
Wenn Sie die gesundheitlichen Folgen der hohen Feinstaubbelastung kleinrechnen wollen: Sehen Sie sich in der Wissenschaft um. Dort gibt es immer viele Meinungen. Zur Not können Sie die auch selber provozieren. Wenn Sie nachfragen, ob Feinstaub wirklich so gefährlich ist, fordern Sie zur Verwirrung Vergleiche: Wie gefährlich ist eigentlich mein Staubsauger? Der Kopierer in meinem Büro? Oder Rauchen in geschlossenen Räumen? Werfen Sie dabei ruhig Äpfel und Birnen durcheinander. Belastbar müssen die Untersuchungsergebnisse nicht sein. Hauptsache, Sie streuen Zweifel.
6. Rechnen Sie den Anteil des Verkehrs so klein wie möglich!
Machen Sie sich zunutze, dass Feinstaub aus verschiedenen Quellen kommt, die nur zum Teil Ihrer Kontrolle unterliegen. Weigern Sie sich, Verantwortung für den Dreck der anderen zu übernehmen. Partikel, die ganz natürlich durch Erosion und bei Waldbränden oder Vulkanausbrüchen entstehen, sind nicht Ihr Problem. Ebenso wenig solche aus Industrieemissionen, Elektrizitäts- und Fernheizwerken oder Industriefeuerungen. Beim Straßenverkehr können Sie zwar nicht passen. Aber Sie können seinen Anteil am Feinstaub so klein wie möglich rechnen, auch wenn ihn das Umweltbundesamt in den Städten auf 50 bis 60 Prozent beziffert. Praktisch ist, dass es keine klare Richtlinie gibt, wo Sie Ihre Partikelmessstationen aufstellen müssen. Sie können sie gern wie in Köln in den Problemzonen an dicht befahrenen Straßen abbauen und auf Grünflächen verlegen. Verweisen Sie außerdem darauf, dass die feinen Stäube sehr beweglich sind und gar nicht an der Stelle entstanden sein müssen, an der die überhöhte Konzentration gemessen wurde. Orten Sie die Schuldigen in der nahe liegenden Industrie, auf die Sie keinen Zugriff haben. Schieben Sie die Verantwortung auf den Fernlastverkehr von außen oder gleich auf das Ausland, also in Berlin oder Brandenburg auf Polen oder in Sachsen auf Tschechien.
7. Tauchen Sie ab!
Wenn Sie nicht zu den Streitwilligsten gehören, tun Sie nur das Nötigste und setzen Sie auf die Kollegen beispielsweise in den Autoländern Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg. Nehmen Sie sich Berlin oder Brandenburg zum Vorbild: So lange es keine klare Kampfansage an die Feinstaubpolitik der EU und der Bundesregierung gibt, halten Sie sich zurück. Reden Sie freundlich mit den Vertretern der Umweltverbände und vermitteln Sie den Eindruck, ganz auf deren Linie zu sein. Zeigen Sie Ihr wahres Gesicht erst, wenn Sie sehen, dass sich etwas bewegt. Das schont Ihre Nerven, lässt die Umwelt- und Gesundheitspolitiker über die wirkliche Stärke der Richtliniengegner im Unklaren und wiegt sie so in trügerischer Sicherheit.