: Therapiesitzung mit Seneca
Intimes Fundstück: Glück ist machbar in Kai Hensels Monolog „Welche Droge passt zu mir?“, das am Stuttgarter Theater Rampe die Spielzeit beendet
Auf Sofas und Sitzhockern oder einfach mit einem Kissen auf dem roten Teppichboden darf es sich das Publikum bei einem Glas Wein oder Wasser gemütlich machen. Die winzige Nebenspielstätte, zu der das Stuttgarter Theater Rampe die ehemalige Sammelstätte der städtischen Verkehrsbetriebe für verlorene Gegenstände umfunktioniert hat, ist an diesem Abend wie ein gediegenes modernes Wohnzimmer ausgestattet.
Den Namen Fundbüro hat das Theater für seine seit dieser Saison bespielte Minibühne beibehalten. Schließlich soll es auch hier um Fundstücke gehen, allerdings solche literarischer und dramatischer Art. Fündig geworden ist man im Fall der letzten Premiere vor der Sommerpause bei dem Berliner Autor Kai Hensel und seinem 2003 uraufgeführten Stück „Welche Droge passt zu mir?“.
Die Gastgeberin Hanna, gespielt von Petra Weimer, wünscht einen guten Abend und zitiert zum Auftakt erst einmal aus dem „Handbuch des glücklichen Lebens“ vom antiken Philosophen Seneca, dessen Weisheiten auch weiterhin den Leitfaden durch ihren Monolog bilden und seltsam ungebrochen zu ihren Wünschen passen. Hanna, eine 38-jährige, in wohl situierten Verhältnissen lebende Hausfrau, hat eigentlich alles, was sie zu ihrem Glück braucht – einen sie liebenden Ehemann, einen siebenjährigen Sohn, ein Eigenheim. Aber es klafft eine emotionale Lücke zwischen dem Außen und ihrem Erleben dieser gutbürgerlichen Idylle. Diese Diskrepanz, das Empfinden innerer Kälte und die unterschwellig nagende Gewissheit, dass zu einem erfüllten Leben mehr gehören müsste, versucht Kai Hensels Protagonistin mit Drogen zu kitten.
Der Kunstgriff des Autors besteht darin, dass er etwas Verbotenes und gesellschaftlich Geächtetes, eben den Drogenkonsum, ganz leger und selbstverständlich als „Mother’s Little Helper“ darstellt. Der Sohn fordert Zuneigung, die man nicht empfindet? Da hilft eine Ecstasy-Pille. Kokain macht mutig und Speed fördert das Abnehmen. Hanna respektive Petra Weimer, in einem Sessel dem Publikum gegenübersitzend, erzählt uns das mal im aufgeräumten Plauderton einer Talkmasterin, mal mit der Säuselstimme einer Psychotherapeutin.
Die Regisseurin Eva Hosemann hat den interaktiven Charakter des Stücks stark betont. Immer wieder spricht Weimer die Zuschauer so direkt an, dass sie sich fast als Teilnehmer eines Selbsterfahrungs-Seminars fühlen können. Und schließt man, von der Akteurin dazu aufgefordert, im Verlauf der theatralen Psychostunde immer mal wieder die Augen und hört die Sinnsprüche Senecas – beispielsweise, dass das Leben vorübergehe, während man es aufschiebt –, gelingt es der Inszenierung in manchen Momenten tatsächlich, einen in Hannas Argumente einzuwickeln und von ihrer Kraft des Selbstbetrugs verunsichert zu werden.
Es ist – vor allem auch sprachlich – eher ein Gebrauchstext als ein Stück mit langer Halbwertszeit, aber im intimen Rahmen des Rampe-Fundbüros, in der Art, wie Inszenierung und Akteurin sich das Publikum zum Komplizen machen, entfaltet Kai Hensels Monolog seine Wirkung. Zwischen den Text geschnittene Filmeinspielungen auf einem Fernsehschirm, die im Stil einer Wissenschaftssendung über Drogenkonsum, -produktion und -handel referieren, unterstreichen die Ambivalenz im Umgang mit den chemischen Stimulanzien. Hensels lakonisch-böser Blick auf das Thema impliziert über das Indiviuelle hinaus jedenfalls auch gesellschaftliche Zusammenhänge, etwa wenn er vom Drogenhandel als „dem einzig funktionierenden, globalen Sozialsystem“ spricht.
Auch wenn Hanna daran festhält, dass Drogen ihr Kraft geben, das Leben zu meistern, haben doch längst Paranoia und Nebenwirkungen ihr Gehirn umnebelt. Theater muss keine moralische Anstalt sein, aber in diesem Schlusspart des Stücks bleibt die Inszenierung zu harmlos, obwohl Petra Weimer das präsent und intensiv spielt. So wird man zwar innerlich etwas aufgerüttelt, aber nicht wirklich erschüttert aus dem gemütlichen Theaterwohnzimmer in die laue Sommernacht entlassen.
CLAUDIA GASS