: Willkür bedroht Freiheit
Gulnara Sultanova, geboren 1975 in Leningrad (St. Petersburg), ist Bürgerrechtlerin und vertritt die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen. Sie leitet das Schwulen- und Lesben-Filmfesival Seite an Seite (russisch: Bok o Bok www.bok-o-bok.ru).
VON GULnara SULTANOVA
Die Winterspiele sind mit zahlreichen Skandalen verknüpft. Das verwundert nicht: Der Austragungsort ist eigentlich das Mekka russischer Urlauber, die jeden Sommer das subtropische Klima, die Sonne, das warme Meer und die Palmen genießen. Ganz klar: Hier stimmt etwas nicht. Die gigantischen Summen, die in die Schaffung von bisher gänzlich fehlender Infrastruktur für Wintersport geflossen sind, die ökologischen und humanitären Katastrophen, zu denen es bereits gekommen ist und die noch zu erwarten sind, die korrupten Strukturen beim Bau der Sportobjekte – all das kann die Russen und auch den Rest der Welt, wo Russland für seine Korruption und sein undurchsichtiges Verwaltungssystem berühmt ist, nicht mehr verwundern. Aber auch nichtsportliche Ereignisse ziehen die Aufmerksamkeit der Welt auf Russland: die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen und die repressiven Gesetze, die von der russischen Duma durchgedrückt werden, die Verfolgung von Menschen aus Kunst, Kultur und Politik, die sich trauen, die derzeitige Situation zu kritisieren und Alternativen zur „Generallinie der Partei“ vorzuschlagen.
Die Organisation, in der ich arbeite, und auch ich persönlich waren bereits mehrere Male politischer Verfolgung ausgesetzt. Das Schwulen-und-Lesben-Filmfestival „Seite an Seite“ („Bok o Bok“) veranstaltet Filmabende und Diskussionen rund um die Themen Homophobie und Transphobie im heutigen Russland. Damit wird ein Raum für die Reflexion vieler schwieriger Fragen zur Lage der LGBT-Communitys in Russland geschaffen. Diese Fragen werden in Russland auf staatlicher Ebene nicht diskutiert und in den staatlichen Medien in einer menschenverachtenden Manier dargeboten. Es gibt ein offensichtliches Bestreben, die Gruppe der LGBT in Misskredit zu bringen und antiquierte Vorurteile zu festigen, die noch aus Sowjetzeiten stammen, als Homosexuelle strafrechtlich verfolgt wurden.
All das wird anlässlich der Olympischen Spiele sichtbar: Die Spiele, die auf den Prinzipien von Freiheit, gerechten Regeln und dem Respekt vor der Menschenwürde gründen, machen die Verstöße gegen Freiheit und Menschenrechte in Russland augenfällig. Meine Hoffnung ist, dass die Sportlerinnen und Sportler ihre Solidarität mit den unterdrückten Gruppen zeigen und ihre politische Einstellung kundtun. Wie hat doch der polnische Menschenrechtler Alex Storozynski gesagt: „Die Willkür an einem Punkt der Welt bedroht die Freiheit in der ganzen Welt.“