: „Kein Song ist heilig“
Als Sänger der Afghan Whigs sang Greg Dulli von Selbstzerstörung, die Platte seiner Band Twilight Singers nahm er in einer kaputten Stadt auf. Ein Gespräch über New Orleans, Grenzen und Kokain
INTERVIEW MAX DAX
taz: Greg Dulli, seit jeher geht es in Ihren Songs um Verführung, Leidenschaft, Gewalt und Drogen. Ist das Ihr Universum?
Greg Dulli: Ich fürchte, das sind wohl die klassischen Themen von Rockmusik. Und nicht nur bei mir: Björk sang in „Hyperballad“ über Todesfantasien, John Coltrane in „A Love Supreme“ über leidenschaftliche Liebe. Ich bewege mich nur in einem Feld, das andere vor mir bereits beackert haben.
Die Songs, die Sie erwähnen, fanden sich vor einem Jahr auf Ihrem Album mit Coverversionen. Die Schallplattenhülle zeigte eine Frau, die sich den Rock hochzieht, sodass ihr Schoß sichtbar wird.
Man hat mir damals vorgeworfen, dass man so ein Cover nicht bringen könne, wenn man mit „Strange Fruit“ einen Song über einen Lynchmord an Schwarzen auf dem Album hat. Bullshit. Alles kann man. Kein Song ist heilig. Natürlich kann ich sogar einen Song wie „Strange Fruit“, der in der Version von Billie Holiday als erster Protestsong der Welt gilt, sexuell aufladen. Ich kenne die Entstehungsgeschichte und die Bedeutung des Songs. Zu meiner Version bin ich durch eine damals aktuelle Zeitungsmeldung inspiriert worden: In Florida gab es mal wieder einen brutalen Lynchmord. Eine Gruppe von Weißen hängte einen jungen Schwarzen, weil er öffentlich mit einer weißen Frau geflirtet hatte. Betrachtet man die Geschichte aus dieser Perspektive, macht die sexuelle Aufladung sehr wohl Sinn.
Das Plattencover Ihres neuen Albums „Powder Burns“ zeigt ein nächtliches Foto der Wolkenkratzer von Los Angeles.
Ich wohne in Silverlake, Los Angeles. Dieses Stadtviertel erlebt zurzeit seinen Niedergang dank der gentrification. Immer mehr Weiße ziehen in das Viertel. Das hat zur Folge, dass meine Nachbarn weggezogen sind, das waren Musiker einer mexikanischen Mariachi-Band. Es war immer das gleiche Bild: Abends kamen sie mit ihren Hüten nach Hause, mit ihren geilen Show-Hemden und ihren Bandalero-Jacken. Immer wieder habe ich sie im Garten proben gehört. Irgendwann fasste ich mir ein Herz, bin rüber zu ihnen gegangen und habe gefragt, ob ich mitspielen dürfe.
War das einfach?
Nein, das war verdammt schwer. Wir Rockmusiker haben ja keine Vorstellung, was solche mexikanischen Partymusiker so alles drauf haben müssen! Ich taugte in ihrem Outfit nur als Rhythmusgitarrist, diesen Part aber genoss ich in vollen Zügen. Wir sind sogar ein paar Mal zusammen in den Latino-Quartieren Los Angeles’ aufgetreten. Erst später habe ich erfahren, dass die richtig bekannt sind in Mexiko.
Klingt paradiesisch.
War es auch. Aber Los Angeles ist auch gefährlich. Die Stadt gibt dir alles, was du willst. Also sei vorsichtig, wonach du verlangst. Zumal L.A. nicht zögert, dir alles wieder zu nehmen, was dir lieb ist.
Der Herr gibt es, der Herr nimmt es?!
Ganz genau. In New York gibt es diesen Hiphop-Spruch: „Manhattan makes it, Brooklyn takes it.“ Alles, was man sich erarbeitet, kann man noch viel schneller verlieren. Das wirft ein ganz anderes Licht auf den amerikanischen Traum, der ausschließlich auf der Idee materiellen Wohlstandes beruht.
Der Großteil Ihres neuen Albums „Powder Burns“ ist in New Orleans entstanden. Vor oder nach dem Hurricane?
Ich hatte bereits im Frühjahr letzten Jahres in New Orleans an neuen Songs gearbeitet, bevor ich einige Wochen vor dem Hurricane für zwei Monate nach Sizilien flog. Als New Orleans ausradiert wurde, war ich längst in Catania, das gute süditalienische Essen genießend. Ich weiß noch, ich war mit Freunden beim Abendessen, es gab von allem reichlich und vor allem Wein. Da liefen im Fernsehen wie jeden Tag die Nachrichten. Zunächst hatte es ja so ausgesehen, als sei Kathrina an der Stadt vorbeigezogen. Doch diesen Abend brachten sie die Nachricht, dass die Deiche gebrochen wären. Da wurde mir schlagartig bewusst: Das war’s! Dann durchfuhr es mich ein zweites Mal: Meine Bänder, mein angefangenes Album befinden sich noch dort!
Sie sind dann zurückgegangen nach New Orleans?
Natürlich. Ich musste ja mein Album beenden. Ich rief meinen Produzenten Mike Napolitano in New Orleans an und sagte ihm: Jetzt erst recht. Wir kommen zu euch zurück. Das Problem war nur: Die Stadt war von der Nationalgarde abgeriegelt. Niemand wurde nach New Orleans hineingelassen. An dem Tag, an dem sie den Louis-Armstrong-Flughafen wieder aufgemacht hatten, saß ich im Flieger. In der ersten wieder frei buchbaren Verkehrsmaschine.
Hatte diese Entscheidung für Sie etwas Symbolisches?
Ich bin kein Patriot, aber New Orleans ist meine Stadt. Ich habe dort meine wichtigsten Jahre verbracht und auch meine wichtigsten Alben aufgenommen. Für mich war sonnenklar, dass ich mir selbst und meinen Freunden in New Orleans mit einer solchen stolzen Geste begegnen musste.
Wie erlebten Sie die zerstörte Stadt?
Am schlimmsten für die Überlebenden war, dass sie nach dem Abklingen des Sturms schlichtweg alleingelassen wurden. Es gab kein Gas und kein Wasser, und gerade einmal ein Viertel der Einwohner war noch in der Stadt – dafür gab es eine martialische, überall sichtbare Militärpräsenz. Es gab eine Ausgangssperre, und es galten Notstandsgesetze. Das war extrem surreal. Ich fühlte mich wie in einem Traum und wartete unentwegt darauf, endlich aufzuwachen. Ich ertappte mich dabei, wie ich diese Situation auf meine Weise nutzte und neue Songs schrieb. Ich stellte mir vor, ich sei ein Kriegsreporter an der Front. Sie müssen sich vorstellen: Es war still dort, es gab keine Vögel mehr in New Orleans, denn die Bäume waren verschwunden, und es gab keine Käfer mehr für die Vögel. Die ganze Stadt hat nach Tod gerochen. Es war wie im Kino. Ich stellte mir vor: Meine Songs müssen wie der Soundtrack zu diesem apokalyptischen Schauspiel sein.
Schon zu Zeiten Ihrer Band The Afghan Whigs behandelten Sie Ihre Alben wie Filme. „Shot on location“ stand dann in den Credits geschrieben, statt „recorded at“.
Ich möchte Musik sehen, nicht nur hören. Das war schon immer so. Mit den Afghan Whigs haben wir seinerzeit das Album „Black Love“ sogar als „oral movie“ bezeichnet. Das war der Versuch, eine Schallplatte wie einen Film erlebbar zu machen. Wir arbeiteten mit Geräuschkulissen – etwa dem Klang von vorbeifahrenden Zügen, der Songs miteinander verbunden hat.
Sind Sie ein Romantiker?
Eher schon Palmenfetischist. Vor allem aber entstamme ich der Generation, die sich bereits Platten kaufte, bevor MTV uns vorgeführt hat, wie Musik aussieht. Auch heute noch drehe ich die Anlage auf, wenn ich zu Hause Musik höre – und rauche dazu einen Joint. So muss man Musik hören.
Ihr neuer Song „40 Dollars“ handelt aber nicht von Haschisch.
In New Orleans benutzen Dealer Codewörter. Das Codewort für Kokain in New Orleans lautet „Love“. Suchen Sie in New Orleans Kokain, müssen Sie fragen: „You got love?“ Ein Briefchen kostet 40 Dollar. Daher der Songtitel. In dem Song singe ich, die Beatles zitierend: „All you need is love.“ Der Song ist erzählt aus der Perspektive des Dealers.
Sozusagen das Gegenstück zu Lou Reeds „I’m Waiting For My Man“?
Ganz genau. Ich möchte aber anmerken, dass ich meine Kokainsucht erfolgreich überwunden habe. Ich fühle mich kräftiger als je zuvor. Der Albumtitel ist ein Wortspiel, das Wort „Powder“ bezieht sich auf die Droge und die Spuren, die sie in mir hinterlassen hat.
In der Sprache der Forensik bezeichnet man mit „powder burns“ die Schmauchspuren, die sich verräterisch in die Hand eines Mörders brennen, wenn er schießt.
Das ist richtig. In der Forensik benutzt man diese Methode, um festzustellen, ob einer als Täter in Frage kommt. Ich habe Kokain wie eine Waffe benutzt, die ich wissentlich gegen mich gerichtet hatte. Meine Platten sind immer schon sehr persönliche, autobiografische Arbeiten gewesen, in denen ich mich bevorzugt an den dunklen Seiten meines Lebens abgearbeitet habe. Ich bin ein selbstzerstörerischer Mensch, und von dieser Selbstzerstörung handeln meine Platten. Wenn ich mir meine alten Songs anhöre, denke ich oft: Dieser Mann war am Ende. Und dieser Mann war ich.
War es für Sie leicht, vom Kokain runterzukommen?
Ich habe für mich eine private Entscheidung getroffen, als ich beschloss, nie wieder Kokain zu nehmen. Ich habe mich nicht therapieren lassen, ich habe, wie es meinem Charakter entspricht, cold turkey entzogen. Ich habe es für mich getan, und ich bin stolz auf meine Leistung. Punkt. Ich sage dennoch niemandem, er solle aufhören, denn ich bin kein Prediger. Ursprünglich habe ich Kokain genommen, weil ich die Wirkung der Droge wie ein interessantes, gesellschaftliches Experiment betrachtete. Die Geschichte geriet dann allerdings außer Kontrolle und entwickelte sich zu einer sehr einsamen, paranoiden Angelegenheit. Ich veränderte mich – zum Schlechten.
Für einen Politiker wären die Bekenntnisse, die Sie hier gerade von sich geben, der gesellschaftliche Tod. Für einen Rockmusiker sind es Meriten?
Seien Sie sich da mal nicht zu sicher. Marion Berry, der Bürgermeister von Washington DC, wurde 1990 vom FBI in einem Luxushotel festgenommen, als er mit mehreren Nutten eine Orgie feierte. Bei der Razzia wurden mehr Bargeld und Kokain sichergestellt, als man sich vorstellen kann. Was, meinen Sie, passierte daraufhin?
Sagen Sie es mir.
Nur zwei Jahre später wurde er wiedergewählt. Das ist Amerika.