: Dünne Haut und Aliens
Die amerikanische Fotokünstlerin Ann Mandelbau erforscht obsessiv Knie, Ellbogen oder auch Finger. Das Museum Mülheim zeigt ihr geheimnisvolles Werk zusammen mit Bildern von Julia Oschatz
VON KATJA BEHRENS
Die faltige Haut am durchgedrückten Ellbogen, die feinen Härchen in den Nasenlöchern, an der Männerbrust, Münder, mit Früchten verstopft, doppelt bewimperte Augen: Extreme Nahsicht auf Fotos und Videos, oder in fragmentierten Körperskulpturen erschaffen ein surrealistisch verrätseltes Kabinett. Die fremdartigen und doch irgendwie wohlbekannten Details unserer Physis erinnern daran, wie eng Liebe und Tod beieinander liegen. Ann Mandelbaum (geb. 1945 in Pennsylvania) lebt in New York, wo sie seit 30 Jahren als Lehrerin an einer Kunstschule unterrichtet. Größere Museumsausstellungen wie etwa in Paris (1992) oder in Frankfurt (1994) hat sie allerdings erst seit ungefähr 15 Jahren. So begegnet uns in der als Retrospektive angelegten Ausstellung im Museum Mülheim das in positivstem Sinne reife Werk einer Künstlerin, die die Lebens- und wohl auch Leidenserfahrung als ein wichtiges Fundament ihrer Kunst ansieht. Die Erlebnisse täglicher Banalität und sozialer Oberflächlichkeiten scheinen keinen Platz zu finden. Vielmehr behandeln und berühren die Werke die visuellen Oberflächen des menschlichen Körpers, seiner Scharniere, Öffnungen und Funktionen.
„Als ich in den 1990er Jahren mit dem Zeichnen angefangen hat, änderte sich mein fotografisches Arbeiten fundamental“, sagt Mandelbaum. Die Linie erhielt eine größere Bedeutung. Deutlich erkennbar ist dies in den Silber-Gelatine-Abzügen und Solarisationen, die an die Experimente der Surrealisten erinnern. Die Bildcollagen, entstanden in mehreren Arbeitsschritten, deuten an, dass die fotografische Technik des Transformierens vom Negativ zum Positiv eine Nähe zu den nach Abgüssen geschaffenen plastischen Arbeiten besitzt.
Die zumeist im Jahr 2003 entstandenen lebensgroßen Silikonabformungen ihrer Gelenke, von verhakten Fingern, Knien, Ellbogen, Handgelenken oder von der Unterseite ihrer Füße liegen auf Tischen und Sockeln. In den Vitrinen kleine, oft nur zentimetergroße, anthropomorph geformte Objekte oder winzige Hieroglyphenreliefs in Büchern.
Geradezu obsessiv erforscht die Künstlerin ihre eigene Körperwelt, schreibt sich ein in die künstliche Masse des formbaren Stoffes. Auf den Fotos tauchen und stoßen nur einzelne Partien hervor. Die Knie, Ellbogen oder Finger aber lassen sich nicht immer leicht zuordnen und ihr langsames Changieren zwischen Formlosigkeit und definierter Form, zwischen fest und flüssig machen aus ihnen Andeutungen einer nach beiden Seiten hin offenen Struktur. Die Unentschiedenheit, ob die Figurationen auf den Fotografien lieber als auftauchende oder als verschwindende gelesen werden wollen, verwandelt sich in die Gewissheit: Ebenjene Unsicherheit könne auch als Appell gedacht werden, im Blick auf die nahe liegende Realität das Naheliegende nicht zu übersehen. Oder zumindest die Orte wahrzunehmen, an denen die Wirklichkeit ihre Abdrücke und Spuren hinterlassen hat.
In der oberen Etage des Museums findet sich die Arbeit „Cut and Run“ der jungen Darmstädter Künstlerin Julia Oschatz (geb. 1970), die in der raumfüllenden Installationen eines Pappkartonschiffes die fiktive Geschichte eines traurigen, einsamen Alien nacherzählen möchte. Das überall immer wieder auftauchende seltsame Geschöpf, ein Zwitter aus Mensch und Tier, wird in den Videofilmen von der Künstlerin selbst gespielt. Oschatz sagt, daß es ihr jedoch leichter fällt, die Bilder hinterher zu bearbeiten, „denn die Personifizierung selbst sei viel schwieriger. Vielleicht weil es sich nicht als Identifikationsfigur anbietet“. Das freundliche Wesen lebt nämlich in einer Welt aus zweiter Hand, in einer Welt der Zitate, der Verkleidungen, Utopien und der geliehenen Bilder, der Abstraktion. Und vielleicht ist diese Distanz zum tatsächlichen, zum realen Leben auch der große Unterschied zu den höchst konkreten Arbeiten von Ann Mandelbaum.
Museum MülheimBis 01. Oktober 2006Infos: 0208-4554138