: Adel bunt kariert
Die Aristokratie ist auch nicht mehr das, was sie früher mal war. Ein historischer Report
Im hessischen Bahn-Bermudadreieck um den Bahnhof Eichenberg herum, wo 1945 die britische, amerikanische und sowjetische Zone zusammentrafen und noch heute Schienenbusse mit unbekanntem Ziel versacken, liegen auch drei adelige Häuser eng zusammen, die unsere Fantasie verschlingen wie die Kegelschnecke ihre Opfer: die Burgen Ludwigstein und Hanstein sowie Schloss Berlepsch.
Schon 1461 wurde der vermögende Ritter Sittich von Berlepsch mit dieser Anlage belehnt. Der Urvogel der bunten Sippe hatte diesen lustig Namen angenommen, weil er von einem treuen Sittich gerettet worden sein soll, als dieser in einem Scharmützel eine tödliche Kugel abfing, ehe sie des Schlossherrn Wams durchschlug. Seitdem zieren auch fünf Sittiche das Wappen derer von Berlepsch, auf deren Schwingen sie bis heute in ganz Europa nestflüchtig unterwegs sind.
Überhaupt haben es die Berlepschs sehr mit Tieren. Im Jahre 1934 brütete ein gefiederter Forstamtsleiter in Vöhl einen wundersamen Plan aus und ließ sich von einem befreundeten Geflügelzüchter „aus reiner Freude, unsere Fauna bereichern zu können“, vier Waschbären schenken. Hermann Göring gab persönlich die schriftliche Genehmigung, den Versuch auch in freier Wildbahn fortzusetzen. So vollzog der frugale Reichsjägermeister einen patriot act der anderen Art und legte den Grundstein für ein blühendes Geschlecht. Der Siegeszug seiner amerikanischen Freunde hat mittlerweile das ganze Kurfürstentum Hessen erobert und beherrscht sogar schon dessen Hauptstadt Kassel, die sie zur Waschbärmetropole Deutschlands machten.
Der bekannteste der Hansteins hieß Huschke oder mit vollständigem Namen Fritz Huschke Sittig Enno Werner von Hanstein. Wer in den späten Fünfzigerjahren schon Fernsehen schauen konnte, wird sich noch an den durch und durch karierten Moderator einer Motorsportsendung erinnern können, der lebenslang von dem Nimbus zehrte, einmal die „Mille Miglia“ gewonnen zu haben, als die noch ein echtes Wettrennen war. Wer damals als Junge mit dem Dreirad oder Roller um die Ecke jagte, hatte immer 180 Sachen drauf und fegte „um die Kurve wie Graf Huschke“.
Nach dem Mauerfall fiel auch der östlich der Werra gelegene Stammsitz der Hansteins wieder an diese zurück, und dem Autor dieser Zeilen war seinerzeit vergönnt, den alten Huschke, den man zu dem Zeitpunkt schon lange für tot gehalten hatte, noch einmal per Oldtimer im durchkarierten Outfit und Knickebockern durch seine Besitztümer zuckeln zu sehen. Wenn denn die Einheit dem Autor irgendetwas gebracht hat, dann das! Heute liegt der alte Huschke von Hanstein unweit der Stammburg begraben.
Zwischen Schloss Berlepsch und Hanstein liegt westlich der Werra dann noch die Burg Ludwigstein, in der heute das Archiv der deutschen Jugendbewegung untergebracht ist. Vom hessischen Landgrafen Ludwig I. in feindlicher Absicht gegen die Hansteins und der Sage nach mit Hilfe des Teufels in einer Nacht errichtet, hat hier der Adel aber schon vor 1914 nichts mehr zu sagen gehabt und schließlich die Ludwigsburg der Wandervogelbewegung überlassen. Die Bündischen kamen hier und am nahe gelegenen Meißner, dem „König der hessischen Berge“ regelmäßig zusammen, um sich gegenseitig auf den Rucksack zu gehen. Dann kam der Krieg dazwischen und später das Deutsche Jugendherbergswerk, das im Inneren der Mauern nun tagein, tagaus Halbwüchsige verköstigt.
Vor einigen Jahren ermordete der Leiter des Archivs, während auf den Jugendherbergstischen unschuldig rosaroter Hagebuttentee verdampfte, seine Sekretärin. Seiner Kugel respektive seinem gezückten Brieföffner flog leider kein Sittich rettend in die tödliche Bahn. Das kommt davon, wenn man dem Adel seine Stätten abspenstig macht.
Kehren wir daher noch einmal kurz auf Schloss Berlepsch zurück. Dort hatten die Anhänger Bhagwans, zu denen mittlerweile auch der wachhabende Schlossspross zählte, in den Achtzigerjahren ein Café errichtet und ihren Sanyassin-Szenetreff. Im Schutz von Hinweisschildern, die mal das Areal als von „Wildtollwut gefährdet“ bezeichneten, mal vor dem Verzehren fuchsbandwurmbekackter Beeren und Pilzen warnten, kamen die rotrückigen Verstandeswürger aus Kassel und aus Göttingen zu ihren Balzfesten zusammen und waren mit ihrem Müllmannoutfit zumindest eines: würdig papageienfarbene Nachfahren vom alten Sittich.
REINHARD UMBACH