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Archiv-Artikel

Spektakel und Gedenkkultur

ERINNERUNG Das Jüdische Museum veranstaltet eine Themenwoche zum kulturellen Leben im KZ Theresienstadt, Höhepunkt: das multimediale Gedenk-Event-Konzert mit Musik von Giuseppe Verdi, „Defiant Requiem“

Erinnerungswoche Theresienstadt

Das „Defiant Requiem“ ist der Höhepunkt der Themenwoche Theresienstadt des Jüdischen Museums. Diese beginnt am 27. Februar um 19.30 Uhr mit der Lesung „Als ob’s ein Leben wär“: der Bericht des Kaufmanns Philipp Manes über das Leben im KZ Theresienstadt, anderthalb Jahre nach seiner Deportierung aus Berlin. Bis zum 21. April zeigt eine Sonderausstellung Werke des Grafikers Bedrich Fritta, der zwischen 1942 und 1944 das Leben im Lager Theresienstadt dokumentierte.

■ Themenwoche Theresienstadt: Jüdisches Museum, Lindenstr. 9–14, ab 27. 2., www.jmberlin.de

VON KATHARINA GRANZIN

Es gibt diesen wirklich berührenden Moment im Film, wenn der Holocaust-Überlebende Edgar Krasa gemeinsam mit seinen Söhnen das „Lacrimosa“ aus Verdis Requiem anstimmt. Sie singen vielleicht nicht erlesen schön, doch ist es ein Moment von großer, unprätentiöser Ernsthaftigkeit und Feierlichkeit. Warum aber muss um alles in der Welt schon nach wenigen Sekunden eine andere Tonspur darübergelegt werden?

Auch wer, wie die meisten von uns, das „Konzert-Drama“ genannte „Defiant Requiem“ des amerikanischen Dirigenten Murry Sidlin nie kennenlernen wird, das am kommenden Donnerstag im Konzerthaus aufgeführt wird (es ist schon ausverkauft), kann durch den gleichnamigen Dokumentarfilm einen ganz guten Eindruck vom Projekt gewinnen. Sidlin hat aus dem Requiem des Giuseppe Verdi, Berichten von Überlebenden des KZ Theresienstadt und historischen Filmausschnitten ein musikbasiertes Gedenk-Event gestaltet, das international schon 19-mal aufgeführt wurde, darunter auch in Theresienstadt. Es ist dem Dirigenten Rafael Schächter gewidmet, einer Schlüsselfigur des musikalischen Lebens im Lager Theresienstadt.

Schächter war es, der Hans Krásas durch Theresienstadt berühmt gewordene Kinderoper „Brundibár“ einstudierte, und Schächter hatte sich auch in den Kopf gesetzt, Verdis Requiem aufzuführen, wenngleich er deshalb mit erheblichen Widerständen zu kämpfen hatte. Im jüdischen Ghetto eine katholische Messe zu singen war eine unkonventionelle Idee.

Theresienstadt war das einzige KZ mit einem geduldeten kulturellen Leben, mit Konzerten, Opernaufführungen, Vorträgen, Kabarett. Anfangs musste all das heimlich stattfinden; doch die SS-Kommandantur erkannte bald das propagandistische Potenzial, das in einem regen jüdischen Kulturleben lag, und schlachtete insbesondere die Musik für eigene Zwecke aus. Auch das Verdi-Requiem wurde Teil der perfiden Inszenierung, mit der man einer Delegation des Roten Kreuzes ein Potemkin’sches Dorf vorgaukelte, in dem es allen gutging, die Kinder Spielzeug und gutes Essen bekamen und die Erwachsenen sich bei Kulturveranstaltungen zerstreuen konnten.

Die Aufführungen des Requiems sollten zum kulturellen Höhepunkt des Lagerlebens werden, obwohl sie unter unglaublichen Bedingungen zustande kamen. Insgesamt studierte Schächter das Werk dreimal neu ein, da immer wieder große Teile des Chors nach Auschwitz abtransportiert wurden. Wohin diese „Umsiedlungen“ gingen, wusste niemand. Am 16. 10. 1944 stand auch Schächters Name auf der Liste, zusammen mit jenen der Komponisten Pavel Haas, Gideon Klein, Hans Krása und Viktor Ullmann. Verdis „Messa da Requiem“ war in Theresienstadt insgesamt 16-mal aufgeführt worden. Schächter starb im März 1945 auf einem der Todesmärsche aus Auschwitz.

Es gibt gute Gründe, ausgerechnet das Verdi-Requiem als musikalische Basis für eine große Theresienstadt-Gedenkveranstaltung zu wählen. Nicht zuletzt ist es eine Art Musik, die das konservative, gutbetuchte Konzertpublikum (die erste Aufführung von „Defiant Requiem“ war in Washington) gern hört; gut eingeführt und nicht zu modern. Für ein solches Projekt Spenden einzuwerben ist natürlich leichter, als wenn man sich zum Beispiel vornähme, eine der Opern Viktor Ullmanns, die in Theresienstadt entstanden, dort aber nie aufgeführt wurden, an ihrem Entstehungsort zum Klingen zu bringen. Oder vielleicht eine Reihe mit Kammermusik von Pavel Haas und Gideon Klein? Na ja.

Der Film foltert mit fast ununterbrochener Backgroundmusik die Zuschauer

Die Kompromisslosigkeit, mit der die Zuschauer während der ersten Hälfte des „Defiant Requiem“-Dokumentarfilms mit fast ununterbrochener Backgroundmusik gefoltert werden, lässt die Erwartungen in Bezug auf die musikalische Seite des Konzertevents bescheiden bleiben. Wer es nicht einmal schafft, die Zeitzeugenberichte gänzlich von klanglicher Untermalung freizuhalten, dem sind weder das Wort noch die Musik besonders heilig.

Und „Defiant“-Initiator Murry Sidlin irrt, wenn er zu Beginn des Films vor der Kulisse der Festung Theresienstadt erklärt, mit seiner Aufführung komme Schächters Verdi-Requiem erstmals „nach Hause“. Die Idee, das Requiem nach Theresienstadt zu bringen, hatte bereits, mit Verlaub, der verehrte, kürzlich verstorbene deutsche Dirigent Gerd Albrecht, der sich auch um die Werke der ermordeten Komponisten sehr verdient gemacht hatte – im Jahr 1997. „Wem nutzt das Spektakel an diesem Ort des Grauens?“, musste Albrecht sich damals von der Wochenzeitung Die Zeit fragen lassen.

Wie auch immer: Murry Sidlins Spektakel nutzt, wie es auch ausfallen mag, sicher dem Gedenken. Das Jüdische Museum Berlin hat ein Begleitprogramm organisiert, das für Tiefe und Kontext sorgt. Unter anderem wird der 90-jährige Edgar Krasa anreisen, um mit Berliner Jugendlichen zu sprechen. Er sang als 20-Jähriger bei Rafael Schächter im Bass.