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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen Der Tag ohne Schlange

Ich bin fremd in der Stadt und stehe vor dem Berghain. Im Berghain, habe ich gehört, kann der Mensch eine Menge Spaß haben, seinem Hedonismus frönen, tanzen, trinken, schnupfen. Im Berghain läuft kein heterosexuell vollgepumpter Pop, sondern minimaler Techno und House für Leute, die wissen, wie man dazu tanzt. In diesem wuchtigen Komplex aus Stein, so heißt es, gibt es verschlungene Irrwege und dunkle Räume, wo ganz viele Leute miteinander Sex haben. Ui. Vor dem Berghain, wurde mir gesagt, musst du dich in eine lange Schlange stellen.

Es ist ein Uhr, als ich vor dem beleuchteten Tempel stehe. Keine Schlange ist zu sehen, nicht einmal ein Wurm. Kein Schwein will ins Berghain. Ich verstehe das nicht. An der Tür steht Sven Marquardt. Der legendäre Berghain-Türsteher ist weniger der Fährmann zur Unterwelt als ein Gatekeeper der härteren Sorte: Sein Gesicht ist vollgepierct und tätowiert. Er drückt mir einen Stempel auf das Handgelenk, schaut mich eindringlich an. Sein Blick sagt: „Das ist mein Haus.“ Ich will seine tätowierte Wange berühren und fragen: „Hat das wehgetan?“ Ich tue es nicht. Ich will ja rein.

Es folgt die große Enttäuschung. Nur die Panorama-Bar ist offen. Eine Gruppe Spanier tanzt ausgelassen unter der überdimensionalen Fotografie einer Möse. Kichernde Mädchen in weißen T-Shirts nippen an ihren Drinks. Ein Robert unterweist mich: „Das Berghain ist der beste Club Europas, das Nonplusultra.“ Aha. Etwas verunsichert fügt er an: „Gut, vielleicht gibt’s in London was Vergleichbares.“

Um halb fünf gehe ich nach draußen. Zwei Männer kommen dahergelaufen. Der eine sieht aus wie ein verklemmter Zuhälter, der andere wie ein Russenmafioso, dick, mit Schweißperlen auf der Stirn. Sie werden von einem großen, schwarzen Türsteher abgewiesen. Der Russenmafioso wird wütend, nennt den Türsteher einen Rassisten. Er fügt an, er würde hier eine Menge Kohle liegen lassen. Der Türsteher erklärt, im Berghain gehe es nicht um Kohle, sondern um Atmosphäre, um Underground und so. Der Russenmafioso will explizit wissen, warum er nicht rein darf. Darauf der Türsteher: „You don‘t have the right type of body.“ Sie ziehen ab.

Neben mir stehen zwei Jungs, der eine sieht ein bisschen aus wie Harry Potter. Der Türsteher zieht mit ihnen über die Abgewiesenen her und fragt irgendwann: „Wollt ihr rein?“ Sie sagen, sie wurden abgewiesen.

Ich steig in ein Taxi. Im Radio bewirbt eine Frauenstimme einen Club mit Namen „Bel Ami“, der gute Atmosphäre, zweisprachige Frauen und Diskretion verspricht. Aber ich hab für die Nacht genug.

ARIANE VON GRAFFENRIED