Gottschalk sagt : Und, was war hier so los?
Im Urlaub soll man sich ja erholen, weshalb ich vierzehn Tage lang nur „Die Zeit“ von vor vierzehn Tagen gelesen habe und mich als guter Bildungsbürger sehr für die venezianische Spitze im ausgehenden Rokoko interessiert habe, nicht aber für das aktuelle Nachrichtengeschäft. Es passiert in 14 Tagen ja ohnehin viel weniger, als man im alltäglichen Informations-Getöse, das man sich so antut, wahrhaben will. Man kennt das ja auch privat. Man kommt aus dem Urlaub und fragt: „Und was war hier so los?“ Der andere guckt verwirrt und sagt: „Hier so? Nix?“ Was heißt: „Dasselbe wie immer“. Die Antwort: „Freitag waren wir besoffen“ hat keinen Nachrichtenwert, das weiß auch der Privatmann. „Dem Micha haben sie den Lappen abgenommen: 1,8 Promille“ dagegen wäre schon eine Nachricht, es sei denn: „Ach, Quatsch, Du kennst den Micha ja gar nicht.“ Wäre meinem Gegenüber das früher aufgefallen, hätte er mich mit der Geschichte gar nicht belästigt.
Die Presse ist da weniger zimperlich. Plötzlich sind alle, die man gar nicht vermisst hatte, wieder da: Kaum habe ich beim Zwischenstopp am Bodensee die „Schwäbische Zeitung“ in der Hand, habe ich „oops!“ auch schon die erste Meldung über Paris Hilton gelesen. Die haben übrigens die Bullen gekriegt, die ist besoffen Auto gefahren. Nach dem Durchblättern einer beliebigen Lokalzeitung ist man also schnell wieder auf dem neuesten Stand. Schumi und Blair Rücktritt Fragezeichen. Wieder erhältlich Doppelpunkt Gammelfleisch. Eva Hermann Doppelpunkt Gänsefüßchen unten ich war gar nicht in der Waffen-SS.
Vor die Frage „Und was war hier so los“ gehört natürlich unweigerlich die Frage: „Wie war‘s im Urlaub?“ und die Antwort lautet : „Schön“. Auch NRW kam drin vor und zwar im Eiscafé in Gestalt einer Gruppe von Ruhrgebietlern, die einem gänzlich unmodernen Menschenschlag angehörten: dem der klassischen Verwandten. „Genau wie meine!“ dachte ich erstaunt. Farbenfrohe Synthetikkleidung aus dem Katalog, erhebliches Übergewicht, immer ein bisschen zu laut und natürlich erkennbar an der typischen Frage: „Sach ma‘ Elke, wie sind denn die Klos hier?“ Mir wurde ganz warm ums Herz. Mit dem Bus nach Jesolo und dann beim organisierten Ausflug zum Lido ganz selbstverständlich den größten Eisbecher bestellen und über Fernsehserien reden. Genau wie meine. So vertraut. Fast hätte ich sie zum Abschied in den Arm genommen. Aber natürlich bestellten wir nur ganz cool auf italienisch die Rechnung und gingen. Bildungsbürger halt.
Fotohinweis:CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz