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Archiv-Artikel

Veränderung bis in den Tod

Kein Theater ohne Bühnenbild. Elmar Goerden eröffnet seine zweite Spielzeit in Bochum mit „Rosmersholm“, einer langsamen Kamerafahrt durch Ibsens Welt der psychischen Wirrungen

VON PETER ORTMANN

Wer gedacht hatte, der Bochumer Intendant Elmar Goerden müsste zu Beginn seiner zweiten Spielzeit vor der nackten Brandmauer inszenieren, wurde enttäuscht. Ein großes Bühnenbild für Henrik Ibsens Stück „Rosmersholm“ füllte die großen Bühne. Das gleichnamige Landgut mit jahrhundertealter Strahlkraft auf die Gegend, ist voll edler Menschen. Ihre großen Probleme microfiltert Goerden an der Bochumer Königsallee. Eigentlich hätten die Schauspieler kein Bühnenbild nötig gehabt. Ihre Geschichte spielt so stark auf einer nicht-visuellen Ebene, das selbst eine nackte Tiefgarage oder ein schlammiges Feld ausgereicht hätte. Aber das Schauspielhaus ist inzwischen wie Rosmersholm selbst. Mit viel Aufwand wird auch hier vergeblich der verblasste Glanz der Vergangenheit poliert, doch alles scheint ohne Feuer. Bleibt es wie das Landgut am Ende des Stücks ohne Erben für eine neue hoffnungsvolle Zukunft?

Goerden erzählt im ersten Stück der Saison von wilden Frauen aus dem ganz hohen Norden. Die eine ist, weil kinderlos, bereits vor dem ersten Scheinwerferstrahl für den Fortbestand der adligen Blutlinie ins Wasser gegangen, die andere wird das idealistisch am Ende des Stücks zusammen mit dem Herrn von Rosmersholm auch tun. Dazwischen liegen zertrümmerte Welt-Ideale, gesponnene Lügen und Intrigen, wahre Liebe und unerfüllte Hoffnung. Die Gespenster, die wie dunkle Materie unsichtbar die hohen Zimmer füllen, lassen nicht locker und ziehen die Lebenden langsam aber sicher auf ihre Seite, so sehr die sich auch dagegen sträuben.

Der Hausherr inszeniert das selten gespielte Werk von Ibsen wie eine langsame Kamerafahrt, unterstützt von wunderbar aus dem Ensemble gecasteten Schauspielern in den Hauptrollen. Vom müden Staub des 19. Jahrhundert ist im repräsentativen Gebäude auch nicht mehr viel zu sehen, Goerden hat die historische Echtzeit so lange gedehnt, bis sie zeitlos wurde und als allgemeine Matrix dient. Johannes Rosmer, Besitzer des Gutes Rosmersholm, ist der letzte Nachkomme der einst einflussreichen Familie, die Geistliche, Offiziere und Beamte hervorgebracht hat. Sie hängen alle mahnend im Esszimmer. Auch Johannes Rosmer war Pfarrer, hat aber sein Amt niedergelegt, weil er nicht nur den Glauben an Gott verloren hat. In sein konservatives Leben drängelt sich die emanzipierte Rebekka West, die alle Schleier der drohenden Dekadenz zerreißt und den noch willigen Hausherrn auf die Schiene des Freigeistes hebt. Die beiden werden ein Liebespaar ohne Vollzug, auch wenn das Rosmers Schwager, Rektor Kroll, nicht glauben will. Er sieht durch die neuen Verhältnisse seine politische Karriere gefährdet und streut Misstrauen im Haus aus.

Hier beginnt Ibsen ein mysteriöses Spiel. Durch harmlose Andeutungen werden sicher geglaubte Tatsachen auch bei den Zuschauern hintertrieben, die wunderbare Imogen Kogge wandelt sich von der selbst bewussten Haushälterin über eine Anstifterin zum Selbstmord zum Häuflein Elend, das als letzten Liebesbeweis den Tod akzeptiert. Am Ende spielen hehre gesellschaftspolitische Ziele und die eigene Selbstverwirklichung keine Rolle mehr. Die Liebe fordert Tribut. Und Rosmersholm hat das Endes des Weges erreicht.

Elmar Goerden nimmt also die Konkurrenz in NRW mit Substanz-Theater, das sich selbst genug ist, an. Sollten doch noch Funken in der Asche sein?

Schauspielhaus BochumInfos: 0234-33335555