: Er wird mir fehlen. Sehr.
VON BETTINA GAUS
Das letzte Mal habe ich Hermann Scheer vor ungefähr drei Wochen gesehen. Ein kenianischer Architekt war bei mir zu Gast, der das Reichstagsgebäude gerne genauer anschauen wollte, als dies Besuchern üblicherweise erlaubt ist. „Ja, ich kann euch am Eingang für die Abgeordneten reinbringen“, sagte Hermann, „aber ich habe danach überhaupt keine Zeit. Ihr müsst alleine rumlaufen.“ Er wollte am frühen Nachmittag verreisen und vorher noch vieles auf seinem Schreibtisch abarbeiten.
An jenem Tag wird all das unerledigt geblieben sein. Hermann Scheer spürte das große Interesse des Gastes und führte uns mehr als zwei Stunden herum. Das war typisch für ihn. Wenn jemand ihn gerade brauchte, dann war er da. Immer. Es war egal, ob es sich dabei um einen Staatspräsidenten oder um einen Ökobauern handelte.
Er wusste viel über das Gebäude, unter anderem deshalb, weil er den Architekten Norman Foster hinsichtlich des Energiekonzepts beraten hatte. Was dieser, wie Hermann erzählte, auch in seinem Buch über den Reichstagsbau gewürdigt hat. Weiß das jemand? Das weiß niemand. Wie ja überhaupt kaum jemand weiß, was dieser Mann geleistet hat und wie anerkannt er weltweit gewesen ist. Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterland: Von China bis in die Vereinigten Staaten hat er mit fast allen geredet, die etwas über erneuerbare Energien erfahren wollten. Das waren sehr viel mehr Leute als seiner eigenen Partei angenehm war.
Ungefähr zehn Jahre lang gehörte Hermann Scheer zu meinem engsten Kreis. Wir haben uns über Freunde kennen gelernt, wir mochten uns, unsere gemeinsamen Freunde verbrachten gerne Abende mit uns beiden. Und so lief es, wie es dann so läuft. Man trifft sich im Restaurant, zur Martinsgans, zum Skat.
Manchmal trafen wir uns auch alleine – vor allem dann, wenn Hermann von einer seiner ungezählten Auslandsreisen zurückkehrte: „Ich bin am Flughafen Tegel und habe dir eine Stange Zigaretten mitgebracht. Kann ich dir die kurz vorbeibringen?“ Ja, natürlich. Du konntest nicht nur – du solltest. Schließlich hat niemand je so ungeniert Zigaretten geschnorrt wie du. Weil du dir ja das Rauchen eigentlich schon längst abgewöhnt hattest.
Seit vielen Jahren habe ich nicht mehr über Hermann Scheer geschrieben. Das hätte sich nicht gehört. Mir fiel das nicht besonders schwer, denn Energiepolitik ist nicht mein Thema. Aber Politik ist mein Thema. Und ich kenne kaum jemand anderen, der so klar und nüchtern Ursachen und Wirkungen analysierte wie er. Er wird mir fehlen. Sehr.