: Doping vor Gericht
Aus Berlin Andreas Rüttenauer
Razzien in spanischen Arztpraxen, Durchsuchungen von Villen in der Schweiz und Italien, Blutbeutel in olympischen Teamunterkünften, Erythropoietin, Spuren von Testosteron in Sprinterblut und Radlerurin. Anzeigen, Ermittlingsverfahren und treuherzige Bekenntnisse nach positiven Dopingtests. Heute scheint es schlimm zu stehen um den Sport – schlimmer denn je. Eine trügerische Annahme. „Das war in den letzten Jahren auch nicht anders“, sagt Helmut Digel dazu. Der Sportwissenschaftler ist Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF) und ein erfahrener Sportfunktionär. In diesem Jahr werde vor allem deshalb so intensiv über Doping gesprochen, weil besonders viele prominente Athleten in den Fokus der Dopingfahnder geraten sind. Ein verdächtiger Nationalheros Jan Ullrich, ein gedopter 100-Meter-Weltrekordler Justin Gatlin oder ein überführter Tour-de-France-Sieger Floyd Landis sorgen für erheblich mehr Aufsehen als hochgezüchtete osteuropäische Kugelstoßer oder positiv getestete persische Gewichtheber. Die Politik hat die öffentliche Erregung der sportinteressierten Öffentlichkeit längst wahrgenommen. Bayern ist mit einem Entwurf für ein Anti-Doping-Gesetz vorgeprescht. Im Sportausschuss des Bundestages wird eine Frage derzeit besonders heiß diskutiert: Braucht Deutschland neue gesetzliche Regelungen im Kampf gegen das Doping?
Bach: Athlet muss Unschuld beweisen
Thomas Bach, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und damit oberster deutscher Sportfunktionär, beantwortet diese Frage mit einem klaren Jein. Er befürwortet die strafrechtliche Verfolgung der Hintermänner im Dopingsystem, der Arzneimitteldealer oder der wissenschaftlichen Begleiter bei der Leistungsmanipulation. Sie sollen vor ordentlichen Gerichten landen. Die Sportler selbst will er da aber auf keinen Fall sehen. Die sollen auch weiterhin einzig und allein der Sportgerichtsbarkeit unterworfen bleiben. Denn nur dort gelte das Prinzip der „strict liability“, das keine Unschuldsvermutung kennt. Vor einem Strafgericht muss die vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen ein Gesetz bewiesen werden. Vor dem Sportgericht muss der Athlet seine Unschuld beweisen, um einer Strafe, meist einer Sperre, zu entgehen. Das Sportrecht, so Bach, könne auf diese Weise schnell und hart strafen. Was, wenn ein Sportler von einem ordentlichen Gericht freigesprochen wird? Muss dann auch das Sportgerichtsurteil revidiert werden? „Da schrillen bei mir die Alarmglpocken“, sagte er bei einer Anhörung vor dem Bundestagssportausschuss am Mittwoch, bei der als Experte zum Thema Anti-Doping-Gesetz angehört wurde.
Neben ihm saß Helmut Digel. Er ist ein Befürworter einer gesetzlichen Regelung, bei der auch der Besitz von zum Doping geeigneten Substanzen unter Strafe gestellt werden soll. Die Leichtathleten wollen sich im Gegensatz zu den meisten anderen olympischen Sportarten einem neuen Gesetz unterwerfen. Thomas Bach gefällt das gar nicht. Er fordert, dass der deutsche Sport mit einer Stimme sprechen soll. Ihm geht es um den nationalen Sport, als schützenswertes Kulturgut, vertreten durch den DOSB. Quertreiber wie den Deutschen Leichtathletikverband kann er da nicht gebrauchen. Die Kontrahenten gehen von zwei völlig unterschiedlichen Grundannahmen aus. Während Bach die Meinung vertritt, der Sport an sich funktioniere ganz gut, und es gehe nur darum, die paar Sünder und ihre Verbündeten zu überführen, hält Digel das System an sich für gefährdet und setzt sich für „den Schutz des sauberen Sportlers“ ein, der nur dann als solcher wahrgenommen werden könne, wenn der Sport als Ganzes als sauber gelte.
Beide jedoch, Digel und Bach, kommen aus der Welt des Leistungssports, die mit ihrem Förderungs- und Prämiensystem dazu beiträgt, dass Sportler der Versuchung unterliegen, ihre Leistungsfähigkeit auch mit unerlaubten Mitteln nach oben zu schrauben. Der Leichtathletikweltverband etwa zahlt hohe Weltrekordprämien. „Das muss nicht sein“, giftete Bach am Mittwoch in Richtung Digel. Dass Bach als Deutschlands oberster Olympier nur dann richtig glücklich ist, wenn deutsche Athleten möglichst viele Medaillen bei den großen Spielen gewinnen, macht ihn selbst allerdings auch nicht gerade zum glaubwürdigsten Interessenvertreter des sauberen Sports. An die auch von Bach immer wieder beschworenen Selbstreinigungskräfte des Sports glaubt ohnehin schon lange keiner mehr.
Der Erfolg ist einnationales Anliegen
Die höchstleistungsverliebte Sportszene hat sich vor fünf Jahren eine Behörde vor die Nase setzen lassen müssen, die vor allem deshalb glaubwürdig ist, weil sie nicht nur den Sportorganisationen verpflichtet ist. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) wird zur Hälfte von den Einnahmen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und zur anderen Hälfte aus Steuergeldern finanziert und ist somit zumindest zum Teil unabhängig. Dem Wada-Regelwerk muss sich unterwerfen, wer an internationalen Wettbewerben teilnehmen will. So gibt es zumindest einen internationalen Standard im Anti-Doping-Kampf, der nicht von den Sportverbänden selbst überwacht wird. In Deutschland gibt es dafür die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada), die auch den Großteil der in Deutschland vorgenommenen Kontrollen bei Athleten durchführt. Das Innenministerium stellt einen Gutteil des 1,3 Millionen-Euro-Etats der Nada und nimmt darüber Anteil am Kampf gegen das Doping. Aber auch das Innenministerium ist über die Bundespolizei, der etliche Spitzenathleten angehören, allzu eng mit dem Sport verwoben und feiert sich selbst – so wie bei den Winterspielen in Turin – als Großsponsor des Sports. Auch das Engagement der Bundeswehr für den Sport zeigt, dass Erfolge in internationalen Wettbewerben als nationales Anliegen gesehen werden. Langläuferin Evi Sachenbacher-Stehle wurde bei den Spielen in Turin wegen eines erhöhten Hämoglobinwertes im Blut, der ein Anzeichen für Epo-Doping sein kann, mit einer so genannten Schutzsperre belegt. Dienstrechtliche Folgen, die Untersuchungen im Umfeld der Bundeswehrsoldatin hätte auslösen können, unterblieben. Beim nächsten Erfolg schütteln Verteidigungs- und Innenminister als stolze Väter des Erfolgs wieder die Hand der Athletin.
Und die Sponsoren aus der freien Wirtschaft? Müssen nicht die großen Zahlmeister des Sports ein reges Interesse daran haben, dass es mit rechten Dingen zugeht auf den Rennstrecken und Laufbahnen dieser Welt? 50.000 Euro steuert Sportartikelhersteller Adidas zum Etat der Nada bei. Auf der anderen Seite werden Großveranstaltungen und Einzelsportler mit Millionensummen unterstützt. In den populären Sportarten sind es gerade diese hohen Summen, die Sportler dazu verleiten, zu unerlaubten Mitteln zu greifen. Sind sie erfolgreich, findet das Label des Sponsors weltweit Verbreitung. Das Sponsoring als Marketinginstrument hat funktioniert. Wie der geförderte Sportler seine Spitzenleistung erzielt, ist der Firma letztlich egal. Wenn er beim Dopen ertappt wird, ist der Sponsor aus dem Schneider und wird sagen, von nichts gewusst zu haben. Bei T-Mobile zeigte man sich auch ahnungslos im Fall Ullrich und war entsetzt über all das, was die spanischen Ermittlungsbehörden zu Tage gefördert hatten. An der Aufklärung eines Dopingfalles hat der Rennstall bislang jedenfalls nicht mitgewirkt.
Noch nie kam eszu einer Verurteilung
Wer also soll die Kontrollfunktion übernehmen? Staatsanwaltschaften und Gerichte sind hier gefragt. Die können schon jetzt in Dopingfragen ermitteln und urteilen. Theoretisch zumindest. Doch das Arzneimittelgesetz, das Medikamentenmissbrauch unter Strafe stellt, hat sich als „zahnloser Tiger“ erwiesen, wie es Bremens Sportsenator Uwe Röwekamp formuliert hat. So gut wie nie kam es deswegen zu einer Verurteilung. Der Ruf nach Schwerpunktstaatsanwaltschaften mit Sachkompetenz in Dopingfragen wurde vor dem Hintergrund dieses toten Rechts laut. Wenn man ermitteln wolle, könne man auch. Der Auffassung ist auch Thomas Bach. Was rechtlich alles möglich sei, das sehe man jetzt im Betrugsverfahren gegen Jan Ullrich. Der Staatsanwalt ermittelt, weil Ullrich durch seine Dopingpraktiken seinen Rennstall betrogen haben soll. Die Bonner Behörde tut sich allerdings schwer mit den Ermittlungen. Fortschritte gibt es kaum.
Hier könnte ein Anti-Doping-Gesetz helfen. Davon ist Helmut Digel überzeugt. Wenn der politische Wille für ein derartiges Regelwerk vorhanden sei, dann wachse das gesellschaftliche Bewusstsein für das Thema. Die Verfolgung könnte einsetzen. Sportler in Handschellen als Vorboten des sauberen Sports.