: „Eltern müssen mitspielen“
Halma war gestern. Computerspiele erobern heute Kinderherzen. Etwa jedes dritte Kind daddelt in seiner Freizeit. Ob harmlose Strategie- oder aggressive Ballerspiele – nur fachkundige Eltern wissen wirklich, was da gespielt wird
VON JANET WEISHART
Klick – drei kleine Männchen bringen Silber aus der Mine. Klick – zwölf Männchen rennen zum Fluss. Klick . Gebannt sitzt der neunjährige Benjamin vor seinem Computerspiel. Minute um Minute. Täglich. Mutter Gisela Schultes hat sich immerhin den Namen des Strategiespiels gemerkt: „Siedler oder so.“ Mehr weiß sie nicht. Die Faszination, mit der Benjamin die Maus nach rechts und links schiebt, macht der Berlinerin manchmal Sorgen. Bestimmt nicht nur ihr. 70 Prozent der 6- bis 13-Jährigen spielen einmal pro Woche. Für zehn Prozent der Spieler ist der Computer bereits der beste Kumpel. Achtung – Suchtgefahr! Die Skepsis gegenüber dem Medium ist also verständlich. Niemand darf aber vergessen: Im Kinderzimmer treffen zwei Generationen mit unterschiedlicher Mediennutzung aufeinander. Im Prinzip ist es wie beim Fernsehen. Spielfilme und Computerspiele sind nicht pauschal gut oder schlecht. Pädagogen sagen: Dem Alter angepasste Spiele sind erlaubt – wenn Zeitlimits vereinbart werden und Kinder weiterhin soziale Kontakte pflegen. Dennoch: Eltern müssen sich, wie beim TV-Programm, auch bei PC-Spielen Kompetenzen aneignen.
Erwachsene kennen sich immer noch zu wenig mit Software aus. „Die SIMS“? „Dragon Quest“? Für Eltern wie Mutter Schultes sind diese Namen unbekannt wie böhmische Dörfer. Nur, wie will sie dann wissen, was ein gutes Spiel ist? Der Leipziger Medienpädagogik-Professor Hartmut Warkus sagt: „Eltern müssen sich mit ihren Kindern über die Spiele unterhalten. Sie beim Spielen beobachten und mitspielen.“ So erlangen sie Kenntnisse und bauen Vorurteile ab. Nichtspielende denken häufig: Bei Computerspielen lernt man nichts! Falsch. Warkus erklärt: „Kinder eignen sich neue Fähigkeiten an, wie etwa die Auge-Hand-Koordination oder Problemlösungsstrategien.“ Von generellen Spielverboten, wie sie Politiker fordern oder Verbalattacken im Sinne von “Ist doch alles Quatsch!“ hält der Experte nichts. Seine Erfahrung: „Bei Kindern zählen Argumente und Fakten!“
Die könnten Eltern haben, wenn sie Folgendes beachten: Jedes Spiel ist mit der Kennzeichnung der Unterhaltungssoftwareselbstkontrolle (USK) versehen. Das auf der Spitze stehende Quadrat zeigt die Altersfreigabe an und ist der wichtigste Wegweiser im Spiele-Dschungel. Woran erkennen Erzieher jedoch „Gewalt- und Ballerspiele“? Der Anteil der Actionspiele ist nicht so groß wie vermutet. Er liegt nur bei zehn Prozent. Ein Indiz für einen hohen Gewaltanteil ist für die Leiterin der USK, Sabine Schulz, jedoch, „wenn Spiele mit sehr aggressiven Texten für sich werben“. Und: Wird im Spiel Gewalt gegen den Menschen oder gegen menschenähnliche Wesen als einzige Spielhandlung angeboten und auch noch optisch (etwa mit Blut) und akustisch (durch Schreie) deutlich herausgearbeitet, ist das garantiert „nicht jugendfrei“.
Psychologe Wilfried Schumann, der an der Universität Oldenburg Computersüchtige berät, warnt eindringlich: „Bis zwölf Jahre sollten jegliche Gewaltspiele tabu sein. Denn Aggression und Terror gehen direkt in kleine Herzen.“ Dass Ballerspiele Gewalt auslösen, davon nehmen Wissenschaftler wie der Leipziger Medienpädagoge Bernd Schorb Abstand. „Medien haben eine verstärkende Wirkung“, schreibt er. Es kommt auf die Dosis an. Die Vielfalt im Spiel und in der Freizeit ist gesund. Wer seinen Kindern eine Alternative zu Actionspielen bieten will, dem hilft die Broschüre „Spiel- und Lernsoftware“ vom Familienministerium.
Wichtiger Punkt: Zeitmanagement. „Eltern sollten frühzeitig Grenzen setzen“, mahnt Warkus. „Erst die Hausaufgaben, dann spielen – könnte eine Verabredung heißen.“ Sonst finden Kinder nie ein Ende. „Die Faszination ist einfach zu groß. In der virtuellen Welt sind sie plötzlich mächtig. Sie bekommen Gold, vernichten Ungeheuer – und erhalten so schneller Selbstbestätigung als im realen Leben. Das macht Spaß“, erklärt Psychologe Schumann.
Können sich Jugendliche gar nicht mehr vom Spiel lösen und vernachlässigen sie soziale Kontakte, sollten bei den Eltern die Alarmglocken läuten. Pädagogen empfehlen folgende Mediennutzungszeiten: im Vorschulalter täglich bis zu 30 Minuten für Computerspiel und Fernsehen, im Grundschulalter bis 60 Minuten. Doch: „Dauert ein Spiel mal zehn Minuten länger als die vereinbarte Zeit, sei ihm das Vergnügen gegönnt“, meint Professor Warkus.