LESERINNENBRIEFE
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Keine „Spätabtreibung“

■ betr.: „Der weite Weg zum Wunschkind“, taz vom 25. 10. 10,„Eine Gewissensfrage von vielen“, taz vom 27. 10. 10

In diesen beiden Artikeln gibt es eklatante sachliche Fehler. Zum einen bezeichnet man es nicht als „Spätabtreibung“ (25. 10. 10), wenn eine Geburt bei einem bereits zuvor intrauterin verstorbenen Kind eingeleitet wird. Per definitionem ist das im 7. Monat ein intrauteriner Fruchttod und kein Abbruch oder „Abtreibung“.

Zum anderen sind in Deutschland sowohl Leihmutterschaft als auch Eizellspende verboten, und nicht, wie von der Autorin behauptet, mit dem Embryonenschutzgesetz seit 1990 erlaubt. Das ist leider kompletter Unsinn, und Familien, in denen entsprechende Konstellationen vorkommen, haben sich im Ausland fortpflanzungsmedizinisch behandeln lassen.

Ich erwarte ein bisschen mehr Kompetenz im Umgang mit solchen relativ simplen biologisch-medizinischen Zusammenhängen und den entsprechenden in Deutschland geltenden Grundlagen.

JULIA HERCHENBACH, Berlin

Einmal 3. Liga, immer 3. Liga?

■ betr.: „Union macht Front gegen Einheitsschule“,taz vom 23. 10. 10

Die Union möchte eine Schule „für Schüler mit unterschiedlichen Begabungen und Entwicklungen“. Auch wird immer betont, das Leistung belohnt werden soll. Ich war zwei Jahre lang (Klasse 5 bis 6) auf einer Schule mit starker Leistungsorientierung: Es gab eine Dreiteilung der Kurse für Deutsch, Englisch und Mathe in Fortgeschrittene, Standard und Nachholbedarf. Jedes halbe Jahr konnte man auf- und absteigen, wie in Sportligen üblich. Jede Sportart hat ihr eigenes Ligensystem. Offenbar konnte die Schule damit immerhin zwischen neun verschiedenen „Begabungs- und Entwicklungsstufen“ differenzieren, zeitlich veränderlich, mit Anreiz zur Leistung. Die Schule hieß „Gesamtschule Gießen Ost“.

Die Einteilung in Hauptschule, Realschule und Gymnasium nach der 5. Klasse entspricht eher einem Sportligensystem, bei dem die Vereine einmal in eine von drei Ligen eingeteilt werden, für alle Sportarten zusammen (Fußball, Wasserball, Schach, Hochsprung, Segeln …), und für (fast) immer, ohne regelmäßigen Auf- und Abstieg. Wäre das der Leistungsgedanke pur? ALEXANDER HARTMANN, Oldenburg

Niemand kümmert sich

■ betr.: „Herzlichen Glückwunsch, deutsches Bildungssystem“, u. a. taz vom 23. 10. 10

In Ihrer Ausgabe vom 23./24. Oktober gefiel mir der Abdruck eines Schüleraufsatzes. Was man da liest, ist zwar grauenhaft. Aber ich freue mich immer, wenn wieder jemand den Zustand des Bildungswesens an die Öffentlichkeit zerrt. Nach meiner Einschätzung wollen die Mehrheit derer, die in der Öffentlichkeit das Wort führen, und die überwiegende Zahl der politisch Verantwortlichen nichts davon hören. Sie müssten sich sonst nämlich ihrer Arbeit schämen.

Der Kommentator Christian Füller kommt jedoch erst zu einer seltsamen und dann zu einer zumindest auf Unkenntnis beruhenden Schlussfolgerung. Er nennt systematisches und damit anscheinend bösartiges Fehlverhalten von Lehrern und erklärt die Lehrer zwei Sätze weiter für unschuldig an dem elenden Zustand. Schuld sei das dreigliedrige Schulsystem. Ich will dieses System nicht verteidigen, meinetwegen kann man es abschaffen. Aber jede Änderung daran führt zu keinem besseren Ergebnis, wenn sich an der Einstellung der Beteiligten vor Ort nichts ändert. Warum ist denn der Schüler, dessen Aufsatz Sie veröffentlichen, überhaupt jemals versetzt worden? Warum wurde er „durchgewunken“, wie Waltraut Schwab das in derselben Ausgabe der taz nennt? Mögliche Antworten: Niemand kümmert sich darum, alle sind überfordert, man schaut weg, die Leitungsebenen und erst recht die Senatsschulverwaltung wollen das Problem verschleiern, Lehrer haben ein ideologisches Brett vorm Kopf oder denken an ihre nächste Flugreise, Eltern sind mit ihren Kindern überfordert. Dadurch, dass man die äußere Struktur ändert, ändert man das Entscheidende nicht. Man würde nur das Bestehende in einer anderen Organisationsform fortführen. Die Forderung, das Gymnasium abzuschaffen, klingt griffig, ist aber eine unsinnige Vereinfachung. Man geht damit den Schwierigkeiten aus dem Weg und kann sich links und fortschrittlich fühlen.

GERD SCHIEWECK, Berlin