: Horch, der Wald!
BILD UND MUSIK „Schläft ein Lied in allen Dingen“, wusste Eichendorff. In ihrer Konzertinstallation „Im Wald“ haben es Uli Aumüller und Sebastian Rausch aufgeweckt. Im Konzerthaus laden sie zur musikalischen Waldbegehung
■ Die Konzertinstallation „Im Wald | Under the trees“ von Uli Aumüller und Sebastian Rausch ist am Montag, 14. April, im Konzerthaus am Gendarmenmarkt eingerichtet. Es spielt das Ensemble Resonanz, zu hören sind Kompositionen von Georg Philipp Telemann, Enno Poppe, Jean-Féry Rebel, Gilles Gobeil, Ludger Kisters, Detlef Heusinger und Ying Wang. Beginn 20 Uhr. Karten 24 Euro.
VON THOMAS MAUCH
Da draußen im Wald gibt es einiges zu sehen. Der Spaziergänger sieht die Bäume und freut sich einfach so daran, während sie der Waldbesitzer schon mal im Kopf in Bretter zerlegt und kurz durchrechnet, wie viel man dafür wohl bekommen wird. Und Uli Aumüller geht in den Wald und sieht Musik.
Was jetzt zugegebenermaßen eine recht verkürzte Darstellung seiner Sichtweise ist. Denn dazwischengeschaltet muss man sich noch etwas Technik dazudenken, und zwar in Form einer Kamera, mit der Aumüller bei einem Waldspaziergang Fotos gemacht hat, um dann bei einer präziseren Betrachtung dieser Aufnahmen zu sehen, dass man mit den Bäumen und überhaupt den Arrangements der Natur doch auch grafische Partituren vor sich liegen hat. In einem Astwerk verbargen sich Pizzicati, auf den Wellen eines Sees schwebten für ihn Flageoletts.
Was dann aber erst auch noch hörbar gemacht werden muss. Und die Möglichkeit zu so einer musikalischen Waldbegehung hat man am 14. April im Konzerthaus bei der von Aumüller gemeinsam mit Sebastian Rausch erarbeiteten Konzertinstallation „Im Wald“ mit acht „Studien über animierte Stillleben und Musik“ unterschiedlicher Komponisten.
Dabei geht es nun nicht um musikalischen Impressionismus oder um die Synästhesie, nicht darum also, dass etwa eine Buche von manchen gleich mit einer bestimmten Melodie gehört wird. Lieber kommt Aumüller auf Eichendorff zu sprechen mit seinem „Schläft ein Lied in allen Dingen“ und erzählt von einem, klar, Spaziergang des Komponisten Helmut Lachenmann mit dessen Lehrer Luigi Nono und wie der dabei irgendwann auf eine Baumrinde deutete und sagte: „Schau dir diese Baumrinde an. Wenn du die verstanden hast, hast du alles verstanden.“
Was aber, so Aumüller, versteht man, wenn man eine Rinde betrachtet. Und: „Welche Frage muss ich an die Rinde stellen?“
Strukturen lesen
Aumüller, 1961 in Füssen geboren und seit Anfang der neunziger Jahre in Berlin lebend als freier Autor und Regisseur von Hörfunk- und Fernsehfeatures über zeitgenössische Musik, geht es um das Lesen einer Struktur, um eine Erkundung der Morphologie. Dafür ist dann im Konzerthaus eine große Leinwand aufgebaut, worauf in Kamerafahrten die Waldpanoramen erkundet werden, die Aumülller und Rausch am Brückentinsee an der Grenze Mecklenburg-Vorpommerns zu Brandenburg aufgenommen haben. 2009 haben sie angefangen mit ihrem Projekt, die letzten Bilder wurden vor wenigen Wochen gemacht.
Im Konzerthaus wird dann durch die Jahreszeiten ein kompletter Zyklus abgeschritten. Und zur Konzertinstallation wird „Im Wald“ natürlich mit der Musik, live gespielt vom Ensemble Resonanz. Kompositionen, die auf die Bilderfahrten durch den Wald abgestimmt sind oder überhaupt erst – wie etwa die von der in Deutschland lebenden chinesischen Komponistin Ying Wang – für das Projekt in Auftrag gegeben wurden. Das Stück „Wald“ des Berliner Komponisten Enno Poppe ist zu hören, eine Geräuschkomposition von Ludger Kisters mit Aufnahmen aus dem Amazonasbecken, die stimmig, aber gleichermaßen zum hiesigen Baumbestand passen. Und neben diesen zeitgenössischen Musiken auch Musik aus der Barockzeit, von Georg Philipp Telemann beispielsweise, für dessen Stück „Die Relinge“ der Komponist Froschgeräusche in ihre harmonische Bestandteile zerlegt und daraus die Musik gemacht hat. „Relinge“ ist ein alter Begriff für Frösche.
Also wieder eine analytische Herangehensweise. Aus dem Geräusch wird Melodie. Musik. Und bei den Bildern zergliedern sich die Bäume und Blätter in Kompositionen aus Farbe, Form und Licht.
Die Bilder von der Natur kippen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. „Die Schönheit im Abstrakten“ zu sehen, dazu fordert Aumüller auf, und auch „die Fremdheit im Vertrauten“.
Präzises Gucken, geschärftes Hören. Sich gegenseitig bei der Wahrnehmung helfend. Letztlich auch eine Meditation über die Frage, die sich Uli Aumüller schon stellen will: „Wo kommt nur die ganze Schönheit her?“
Das aber wiederum ist eine Frage, der man sich nicht nur im Wald stellen darf.