: Seltsam schlagfertig
VOLLEYBALL-WM Größennachteile machen die deutschen Spielerinnen mit Geschlossenheit und Spielwitz wett. So mausern sie sich zum Überraschungsteam dieses Championats
VON FELIX MEININGHAUS
Italiener neigen dazu, ihren Gefühlen mit großen Worten und Gesten Ausdruck zu verleihen. Giovanni Guidetti macht da keine Ausnahme. Wenn der Trainer der deutschen Volleyballerinnen über seine Mannschaft spricht, gerät der Mann aus Modena regelmäßig ins Schwärmen. „Ich arbeite seit über zwölf Jahren als Trainer“, sagt das kleine Energiebündel, „aber so, wie dieses Team denkt, arbeitet und spielt, das habe ich noch nie erlebt.“ Tatsächlich strahlt die deutsche Mannschaft genau das aus, was ihr der 38-jährige Mann auf der Bank Tag für Tag vorlebt: Begeisterung und Hingabe. In den Worten Guidettis klingt das so: „Mein Team ist immer motiviert, gibt nie auf, hat immer den Glauben, alle schlagen zu können.“
Das führt dazu, dass sich die Deutschen in der internationalen Szene den Ruf des Favoritenschrecks erworben haben. Obwohl sie ihren Gegnern körperlich meist unterlegen sind, gelingt es ihnen immer wieder, diesen Nachteil durch leidenschaftliche Auftritte zu kompensieren. Bei der zurzeit in Japan stattfindenden WM hat Guidettis Ensemble bislang eine Bilanz von fünf Siegen und zwei Niederlagen erschmettert und ist damit auf dem besten Weg, die Vorgabe zu erreichen, am Ende unter den besten acht Nationen zu landen.
Am frühen Sonntagmorgen gewann Deutschland gegen Tschechien mit 3:0 (25:8, 25:17, 25:16) und bot dabei eine beeindruckende Vorstellung. Bei der anschließenden Pressekonferenz konnte Guidetti mal wieder kaum an sich halten: „Mein Team hat dieses Spiel nicht so gespielt, wie ich das vorgegeben hatte, sondern noch viel besser. Wir haben im gesamten Match nur vier Fehler gemacht, das ist eine unglaubliche Quote.“
Noch dazu vor dem Hintergrund, dass die Mannschaft am Tag zuvor gegen Italien eine bittere Niederlage hatte einstecken müssen. Fast zwei Sätze lang hatte der Außenseiter aus Deutschland den Weltmeister von 2002 beherrscht, doch als es nicht gelang, einen von fünf Satzbällen zu verwerten und mit 2:0-Sätzen in Führung zu gehen, brachen die deutschen Spielerinnen vollständig ein. Es sind schon viele Mannschaften an solchen Erlebnissen zerbrochen; die deutschen Spielerinnen gingen mit der Schlappe auf ihre Weise um: Sie lächelten und nahmen sich vor, es besser zu machen. Keine 24 Stunden später zauberten sie gegen Tschechien eine Leistung wie aus einem Guss aufs Parkett. Entsprechend angetan war Spielführerin Christiane Fürst: „Ich bin sehr stolz auf unser Team, dass wir nach den Erlebnissen von gestern so eine Leistung gezeigt haben.“
Aus einem Ensemble, das ohne Fehl und Tadel agierte, stachen zwei Spielerinnen hervor: Margareta Kozuch und Kathleen Weiß. Margareta Kozuch, die als Profi in Russland ihr Geld verdient, steuerte 21 Punkte zum Sieg bei; Zuspielerin Kathleen Weiß verteilte die Bälle mit großer Präzision und strategischem Weitblick. Sie ist ein Beispiel für das, was diese Mannschaft auszeichnet: Mit 1,71 Metern ist sie eigentlich zu klein, um in der Weltspitze mithalten zu können. Obwohl sie ständig auf Gegnerinnen trifft, die sie um Haupteslänge überragen, setzt sie sich mit großem Willen durch. Und sie hat spielerische Klasse. Bei der WM wurde sie nach der Vorrunde in der Statistik als drittbeste Zuspielerin geführt.
Der Wille, sich zu behaupten, zeichnete Kathleen Weiß schon als Teenager aus. Mit 15 begann für sie der Tag im Schweriner Volleyball-Internat um 6.30 Uhr und endete nach Schule und Training um 22 Uhr mit den letzten Hausaufgaben. Heute, mit 26, hat die Ballverteilerin bereits in der deutschen Bundesliga, der holländischen Eredivisie und der italienischen Lega A Uno aufgeschlagen. Zur neuen Saison wechselt sie nach Aserbaidschan zu Igtisadchi Baku.
Das Leben als Volleyballerin hält einiges an Abenteuern bereit, doch erst einmal gilt es, mit dem Nationalteam die WM zu bestreiten. Und das tut Kathleen Weiß mit dem Selbstverständnis der deutschen Volleyballerinnen: „Wir sind als Team einfach besser als viele andere Mannschaften. Mit unserem unglaublichen Siegeswillen und Kampfgeist können wir viel erreichen.“ Am Dienstag treffen sie auf Brasilien, den Olympiasieger.