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Archiv-Artikel

Vom Beruf des Politikers KOMMENTAR VON CHRISTIAN SEMLER

Im Auszug aus dem Memoirenband Gerhard Schröders, den der Spiegel diese Woche veröffentlicht hat, findet sich ein bemerkenswerter Satz über die Hauptaufgabe und die notwendige Hauptbefähigung eines Politikers. Politische Beschlüsse fassen, so Schröder, das können auch Technokraten. Es besser wissen, das können auch Journalisten. Aber „Wahlkämpfe führen, das können und müssen nur Politiker“. Der Ex-Bundeskanzler führt zur Begründung an, dass nur hier „die Begegnung mit den Wählern“ und „der Austausch von Argumenten“ möglich sei.

Welche „Begegnung mit den Wählern“ führt Schröder hier ins Feld? Die Großkundgebungen im Wahlkampf 2005, auf denen ihm die Teilnehmer „mit Aufmerksamkeit folgten“ und auf denen er fühlte, sie brauchten „Erklärung und Orientierung“. Der Austausch von Argumenten bestand also darin, die eigene Politik „verständlich zu erläutern“. Was hier unter der Flagge demokratischer Kommunikation segelt, erweist sich in Schröders eigener Schilderung als Einbahnstraße. Aufmerksam lauschen, Beifall zollen.

Schröder zelebriert ein Einverständnis mit dem Wahlvolk, das auf der Identität zwischen ihm und den zur Einsicht bereiten Wählern basiert. Sie wird nur von den um ihre Machtpositionen in den Gewerkschaften und der eigenen Partei besorgten Funktionären durchkreuzt. Während der Bundeskanzler sich in den Memoiren als Alleinvertreter vernunftgeleiteter Praxis stilisiert, werden die Argumente der Gegner ignoriert, die Gründe ihrer Opposition in Persönlichkeitsdefekten angesiedelt. Zu Oskar Lafontaine fällt Schröder ein: Dessen angeblich unstillbare Neigung, immer nur Nein! zu sagen, hätte das unverarbeitete Attentat zur Ursache, das auf Lafontaine während des Wahlkampfs von 1998 verübt wurde. „Austausch von Argumenten“?

Einst hatte Max Weber geschrieben: „Politik bedeutet ein starkes, langsames Durchbohren von harten Brettern, mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Jetzt, nach Schröders Bekenntnissen über sich und sein Wahlvolk, wissen wir es besser. Es geht um den rauschenden Auftritt, die Selbstinszenierung als Verkörperung alternativloser Vernunft – gefolgt von tosendem Beifall.