: Geschlechtergetrennte Pädagogik kann helfen
Seit der Abschaffung der Mädchenschulen wird Pädagogik immer koedukativ gedacht. Das ist nicht immer hilfreich, sondern verstellt die Möglichkeit, getrennt zu lernen
Tough enough to wear pink – stark genug, um Pink zu tragen! Diesen Aufdruck habe ich im Sommer auf dem rosafarbenen T-Shirt eines Zehnjährigen gelesen. Ein schönes Motto für die neue Geschlechterdebatte. Es wird um eine geschlechterdifferenzierte Pädagogik gestritten, und zwar, das macht den Unterschied, mit dem Fokus auf Jungen. Nun passiert etwas Typisches – das fachliche Anliegen einer guten Erziehung für Mädchen und Jungen mündet in eine Grundsatzdebatte um die Koedukation. Sollen wir Jungen und Mädchen wieder trennen? Sollen wir zurück in die alte Mädchen- und Jungenerziehung?
Hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Monoedukativer Unterricht bedeutet nicht, wie befürchtet, das Ende der Koedukation. Aber geschlechtergerechte Erziehung sollte aufhören, Pädagogik mit Koedukation gleichzusetzen, und sie vielmehr als das behandeln, was sie ist: eine der möglichen Organisationsformen im Hinblick auf Geschlecht.
Viele werden jetzt sagen: Aber es gibt doch die „reflexive Koedukation“, die Geschlechtertrennung als Ergänzung vorsieht. Das stimmt, aber gerade dieses Konzept manifestiert das Problem. Es schreibt die Koedukation als Prinzip fort und setzt Monoedukation als Ausnahme der Regel. Das macht es LehrerInnen und auch SchülerInnen so schwer, unbefangen mit Jungen- und Mädchenkursen umzugehen. Sie laufen unter Mädchen- oder Jungenförderung, die stets gerechtfertigt werden muss. Wer gilt schon gerne als Problemgruppe? Monoedukation rangiert bestenfalls als Sonderangebot und schlimmstenfalls als Notlösung – wenn es eben doch nicht so gut klappt mit den Mädchen in Informatik und den Jungen bei der Textinterpretation.
Hier zeigt sich ein tief verankertes Verständnis von „richtiger Erziehung“. Unsere Sprache verrät oft viel über unsere Überzeugungen: Koedukation ist heute ein ganz selbstverständlicher Begriff. Bis vor gut 100 Jahren hatte er keine Bedeutung, weil Pädagogik als höhere Bildung in der Regel geschlechtshomogen war. Heute ist sie koedukativ, und selbst in der Fachdebatte sind Monoedukation oder Geschlechtshomogenität fremde und umständliche Begriffe. Koedukation ist heute zur „Normalpädagogik“ geworden.
Ihre Bedeutung soll hier nicht geschmälert werden: Nach der jahrhundertealten traditionellen Geschlechtertrennung war die Koedukation ein riesiger Fortschritt. Die Freude über diese bildungspolitische Errungenschaft war jedoch so groß, dass es lange dauerte, bis überprüft wurde, ob sie ihre Ziele erreicht. Die feministische Pädagogik benannte die Grenzen der Koedukation und experimentierte mit Mädchengruppen in Schule und Jugendarbeit. Dabei war sie recht erfolgreich.
Die gute Nachricht ist: Monoedukation funktioniert für Mädchen und Jungen! Sie ist geeignet, Freiraum für Selbstbestimmung zu geben, die über Geschlechterstereotypen hinausgehen kann. Mädchen und Jungen können ihre Vorlieben entfalten und Neues ausprobieren. In der geschlechtshomogenen Gruppe haben zukünftige Programmiererinnen und Kinderpfleger eher eine Chance als in der gemischten – einfach weil sich Jugendliche hier eher trauen, Untypisches zu wagen, und weil innerhalb der Geschlechter eine größere Vielfalt existiert als zwischen ihnen.
Die schlechte Nachricht lautet – immer noch wird der geschlechtshomogene Ansatz hinterfragt: Nur für Mädchen oder nur für Jungen, das hatten wir doch schon – damals! Und zu Recht wollen Mädchen keinen Physikkurs, wenn sie spüren, dass er im Grunde als Mädchenförderung angesehen wird. Ebenso wie die Jungen Deutsch boykottieren, wenn es als Jungenförderung läuft.
Veränderungen beginnen im Kopf. Es spricht einiges dafür, das Denkmuster Pädagogik = Koedukation zu verändern. Wie wäre es, in pädagogische Konzepte eine neue Kategorie einzuführen? Der Arbeitstitel hieße: „Organisationsform in Bezug auf Geschlecht“, mit Koedukation und Monoedukation als gleichrangigen Möglichkeiten. Dort wäre die Geschlechterdifferenz gut aufgehoben. ULRIKE GRAFF
Die Autorin ist Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft Mädchenarbeit in Nordrhein-Westfalen.