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Archiv-Artikel

„Neues Idealbild des Kriegertyps“

Mit der Legende vom zivilisierten Staatsbürger in Uniform ist es vorbei, sagt der Militärexperte Detlef Bald

taz: Herr Bald, sind Sie aus allen Wolken gefallen, als sie die Fotos sahen?

Detlef Bald: Ehrlich gesagt, ja. Dabei hätte ich mir, nach Abu Ghraib und anderen Exzessen, eigentlich denken können: Irgendwann kommt der Tag, an dem das auch die Bundeswehr trifft.

Die wenigsten haben so weit gedacht. Woher kommt der Glaube, deutsche Soldaten tun so etwas nicht?

Das ist einer Legendenbildung zu verdanken. Die Legende einer zivilisierten, demokratischen Bundeswehr, die aus allen militaristischen und sonstigen Exzessen gelernt und mit dem Staatsbürger in Uniform ein Idealbild habe, was Schutz vor so etwas bietet.

Warum Legende?

Die Geschichte der Bundeswehr ist nicht einfach die Erfolgsgeschichte einer Armee in der Demokratie, wie es die Regierungsparteien immer so nachdrücklich betonen. Diese Geschichte war am Anfang lange von einem kruden Wehrmachtverständnis aus der Nazizeit geprägt. Vom Verständnis des überheblichen Deutschen mit seinem verbrecherischen Umgang in eroberten Ländern. In den 50er- und 60er-Jahren gab es nur einen kleinen Teil an reformorientierten Soldaten, die sich davon distanziert haben.

Sind die aktuellen Fotos eine Folge von Verrohung durch Krieg, was für Bundeswehrsoldaten eher neu ist?

Nein, das geht hier schon weiter in die Vergangenheit zurück. Vor 15 Jahren wurde in der Bundeswehr das Idealbild des Kriegertyps entwickelt als oberstes Ziel der Ausbildung. Dessen oberstes Leitbild ist: kämpfen können und kämpfen wollen. Damit begann eine neue Entwicklung, denn bis dato galt, kämpfen können, um nicht eingesetzt zu werden.

Die Ausbildung in der Bundeswehr steht unter falschen Vorzeichen?

Wenn wir das Menschenbild, das hinter dem Staatsbürger in Uniform steht, ernst nehmen, ja. Dann müssen wir die Soldaten wesentlich stärker zu Verantwortungsbewusstsein ausbilden.

Haben diese Versäumnisse dazu geführt, dass Bundeswehrsoldaten nun Tote schänden?

Man muss sich fragen, ob sich die Soldaten in ihrer Ausbildung intensiv genug mit moralisch-ethischen Fragen beschäftigt haben oder ob solche Fotos auch eine Folge einer inhaltlich begrenzten Ausbildung sind. Der Totenschädel ist ein ganz schlimmes Symbol. Die SS nutzte es früher, heute tragen es Rechtsradikale vor sich her. Hinzu kommt: Diese Fotos sind ganz stark männlich-sexistisch ritualisierte Bilder. Und: Sie zeigen Machtfantasien.

Gibt es so etwas wie den Prototypen eines Bundeswehrsoldaten?

Es gibt Untersuchungen über junge Offiziere, die zeigen, dass das politisches Bewusstsein eher nach rechts ausgeprägt ist. Bei denen, die diese Fotos gemacht haben, handelt es sich aber sicher nicht um einen „Prototypen“ sondern um eine Degenerierung des Soldaten.

Zeigen die Fotos nur einen Einzelfall?

Leider bin ich mir da nicht sicher. Wenn jetzt nach Jahren solche Bilder an die Öffentlichkeit kommen, stellt sich die Frage, wie viele solcher Vorkommnisse es gibt.

Halten Sie es für möglich, dass deutsche Soldaten auch an Folter und Demütigung von Gefangenen beteiligt sind?

So einen Totenschädel zu schänden, ist eine Demütigung, wie ich mir kaum eine schlimmere vorstellen kann.

Interview: Katharina Koufen