: Erdogan ätzt gegen die Predigten von Pastor Gauck
TÜRKEI Mit scharfen Worten verwahrt sich der Premier in Gaucks Gegenwart gegen dessen Kritik
TAYYIP ERDOGAN
AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH
„Behalten Sie ihre Ratschläge für sich und mischen Sie sich nicht in unsere inneren Angelegenheiten. Das ist eines Staatsoberhauptes unwürdig.“ Noch während Bundespräsident Gauck gestern am letzten Tag seines Staatsbesuches in der Türkei weilte, hat Ministerpräsident Tayyip Erdogan auf die Kritik Gaucks an den Demokratiedefiziten im Lande in ungewöhnlich scharfer Form reagiert.
In einer öffentlichen Rede vor seiner Fraktion im Parlament, warf Erdogan Gauck vor, dieser würde einmal so und einmal ganz anders reden, dass sei „sehr häßlich“. Gauck hatte Erdogan am Montagmittag zu einem zweistündigen Gespräch getroffen. Das sei ein offener, sachlicher Meinungsaustausch gewesen, hieß es anschließend aus der Umgebung Erdogans. Kurz danach hielt Gauck eine Rede vor Studenten der Middle East Teknik Universite (ODTÜ), eine der wichtigsten Universitäten des Landes, deren Mehrzahl sowohl bei den Studenten und als auch den Professoren für ihre oppositionelle Haltung gegenüber Erdogan und seine regierenden AKP bekannt sind.
In dieser Rede hatte Gauck mangelnde Meinungsfreiheit und die Repression gegen Oppositionelle beklagt und Bedenken geäußert, ob angesichts der massenhaften Versetzungen von Staatsanwälten und Richtern als Reaktion auf ein Korruptionsverfahren gegen Regierungsmitglieder, die Unabhängigkeit der Justiz noch gewährleistet sei. Die Rede hat Erdogan ihm offenbar sehr übel genommen. Er warf Gauck vor, er habe sich in Deutschland vorab von atheistischen Aleviten etwas zuflüstern lassen, was die Situation in der Türkei völlig falsch darstelle. Und an der ÖDTÜ habe er das wiederholt.
In großer Erregung sagte Erdogan abschließend: In Deutschland wurden acht türkische Staatsbürger ermordet und Häuser von Türken angezündet, und die deutsche Regierung kann das nicht bereinigen. „Da braucht Herr Gauck nicht herzukommen, um uns zu belehren“. Erdogans Ausbruch vor der Fraktion fand statt, als Bundespräsident Gauck gemeinsam mit dem Staatspräsidenten Abdullah Gül gerade in einem Festakt die Eröffnung der deutsch-türkischen Universität in Istanbul würdigte. Sowohl Gül als auch Gauck lobten die Universitätsgründung in den höchsten Tönen und feierten eine neue Phase des wissenschaftlichen Austausches zwischen beiden Ländern. Die Neugründung ist das Ergebnis jahrelanger zäher Bemühungen, die durch Regierungswechsel und zeitweilige Abkühlung im Verhältnis beider Länder immer wieder bedroht war.