: Klage könnte teilweise Erfolg haben
RECHTSWEG Das Gutachten geht davon aus, dass Snowden „auch im Ausland“ vernommen werden kann. Doch das müsste Russland gestatten
FREIBURG taz | Die Grünen wollen beim Bundesverfassungsgericht klagen. Karlsruhe soll die Weigerung der Bundesregierung beanstanden, Ed Snowden eine Aussage in Deutschland zu ermöglichen. Eine entsprechende Klage könnte zumindest teilweise Erfolg haben, denn das von der Bundesregierung vorgelegte Gutachten ist in sich widersprüchlich.
Grundsätzlich hält sich das Bundesverfassungsgericht in außenpolitischen Fragen sehr zurück. Die Bundesregierung hat die „auswärtige Gewalt“ und Karlsruhe räumt ihr in diesen Fragen einen „weiten Einschätzungsspielraum“ ein. Dies dürfte auch für die Frage gelten, ob eine Vernehmung von Snowden in Deutschland „das Wohl des Bundes“ gefährdet.
Angriffspunkt dürfte eher die Abwägung mit den Interessen des Untersuchungsausschusses sein. Die Bundesregierung sagt, dass die außenpolitische Rücksichtnahme auf den Bündnispartner USA für sie wichtiger sei als der Wunsch der maßgeblichen Minderheit im Untersuchungsausschuss, Snowden nach Deutschland zu holen – schließlich könne Snowden ja „auch im Ausland“, also etwa in Moskau, vernommen werden. Außerdem heißt es im Gutachten, dass „die Weigerung der Bundesregierung, Snowden nach Deutschland einreisen zu lassen, voraussichtlich nicht zur Folge hätte, dass das Beweismittel [also Snowden] nicht zur Verfügung stünde“.
Diese Behauptung ist durch das Gutachten aber gerade nicht gedeckt. Letztlich müsste eine Aussage von Edward Snowden in Russland wohl in jedem Fall von der russischen Regierung gebilligt werden. Eine solche Genehmigung liegt aber weder vor, noch ist sie derzeit sehr wahrscheinlich.
Konkret heißt es im Gutachten der Bundesregierung: „Für den Fall einer Vernehmung durch einen Untersuchungsausschuss liegt ein Akt der deutschen Legislative vor. Deutsche Staatsgewalt darf auf dem Staatsgebiet eines anderen Staates nur mit dessen Zustimmung ausgeübt werden.“
Selbst bei einem informellen Gespräch von Abgeordneten mit Snowden „läge es nahe“, dies als hoheitlichen Akt anzusehen. „Nach allgemeinem Völkerrecht besteht keine Verpflichtung der Russischen Föderation, der Vornahme eines solchen Hoheitsaktes durch Vertreter einer fremden Staatsgewalt auf seinem Staatsgebiet zuzustimmen.“
Dies gälte auch für eine Vernehmung Snowdens in den Räumlichkeiten der deutschen Botschaft in Moskau. Auch hierfür wäre eine Gestattung Russlands erforderlich. Selbst die Befragung Snowdens per Video wäre kein Ausweg. „Auch um die Durchführung einer Videokonferenz müsste förmlich ersucht werden“, heißt es im Gutachten. Zwar blieben die Abgeordneten dabei in Deutschland, „aber ihre hoheitliche Handlung entfaltet ihre Wirkung erst und nur auf der anderen Seite der Videoverbindung in der Russischen Föderation“.
Mit keinem Wort geht das Gutachten auf das Problem ein, dass Russland das einjährige Asyl für Snowden nur unter der Bedingung gewährt hat, dass dieser den USA nicht schadet. Selbst wenn Russland also eine Vernehmung Snowdens in Moskau genehmigt, könnte dieser dort gar nicht frei reden. Von Snowden kann nur dann eine umfassende Aussage erwartet werden, wenn er ein sicheres Aufenthaltsrecht in Deutschland – oder einem anderen westlichen Land – erhält und zugesichert wird, dass der Whistleblower nicht an die USA ausgeliefert wird. Das allerdings wäre theoretisch möglich.
Eine solche Entscheidung der Bundesregierung kann beim Bundesverfassungsgericht wohl kaum erstritten werden. Aber die Grünen könnten verlangen, dass die Regierung bei der Abwägung von schlüssigen Annahmen ausgeht.
Sie müsste deshalb eingestehen, dass ungetrübte US-Beziehungen für sie auch dann Vorrang haben, wenn der Untersuchungsausschuss auf seinen wichtigsten Zeugen Ed Snowden verzichten muss.
CHRISTIAN RATH