: „Ich baue neue Szenarien“
Ihre Bilder zeigen Stadtlandschaften der Moderne: Die Fotografin Beate Gütschow stellt ihre Tableaus beim 2. Europäischen Monat der Fotografie aus. Auf den ersten Blick wirken die Architekturen real, dabei handelt es sich um raffinierte Montagen
INTERVIEW ROLF LAUTENSCHLÄGER
taz: Frau Gütschow, seit zirka zwei Wochen ist als Illustration auf dem Plakat zum „2. Europäischen Monat der Fotografie“ Ihr Fotomotiv einer merkwürdigen Betonstadtlandschaft à la Brasília zu betrachten. Ein Titel fehlt. Was sieht der Betrachter denn genau?
Beate Gütschow: Er sieht keine Gebäude, die es gibt, sondern von mir hergestellte. Ich habe zwar alle einzelnen Teile auf dem Bild analog fotografiert, aber das Material stammt von vielen Architekturen aus aller Welt. Ich scanne das Ausgangsmaterial und baue daraus neue Szenerien.
Wie viele Bausteine – Flächen, Architekturen, Stadträume – auf diesem Bild „S#14“ sind aus Berlin?
In diesem Fall sind es die Treppe und der Plattenbau auf der rechten Seite. Der steht im Olympischen Dorf von 1936, ist aber aus DDR-Zeiten hinzugekommen. Ein Teil des Gebäudes in der Bildmitte, diese wulstartige Konstruktion, stammt von einem Gebäude in Sarajevo.
Auf anderen Fotomontagen ist auch Berlin zu sehen, etwa die Füße des Fernsehturms, kombiniert mit anderen Architekturen. Ähnlich ist allen Tableaus, dass Sie fast ausschließlich moderne Bauten der 60er- und 70er-Jahre zeigen. Warum?
Die Idee der Moderne stand einmal für eine positive Utopie, eine bessere Gesellschaft. Mich interessieren die Gebäude und Räume aus dieser Zeit sehr. Besonders wenn sie – wie auf dem Balkan durch den Krieg – in einer schlechten Verfassung sind oder vernachlässigt wurden. Mit den Motiven kann ich einen Zustand beschreiben, in dem „Moderne“ nur noch als Hülle fungiert. Die dahinterstehenden Ideen sind verlorengegangen. Was geblieben ist, sind diese Hüllen.
Das ließe sich auch an einem Motiv darstellen. Weshalb die Kombination vieler Teile?
Die Idee ist, mit der Montage meine Aussage zu verstärken. Mit der Montage gelingt es mir gewissermaßen, diesen Zustand, den ich sowieso schon sehe, „nachzubauen“ und dabei genauer zu formulieren.
Die Fotomontagen zeigen ein deprimierendes Bild jener Zeit des Aufbruchs. Die Räume sind zudem menschenleer. Halten Sie Stadtentwürfe vom Reißbrett wie den sozialistischen Städtebau für gescheitert?
Ja, es geht um Entleertheit. Die wenigen Menschen in den Fotomontagen wirken desillusioniert, ja geradezu „displaced“ in den bühnenhaften Arrangements.
Es gibt eine lange Tradition von Stadtfotografen, die Stadtlandschaften und ihre Bewohner dokumentierten. Sasha Stones Bilder aus den 20er-Jahren, die auch in Berlin gezeigt werden, gehören etwa dazu. Ihre Motive entsagen der Realität. Warum?
Fotografie ist für mich nicht ein Medium, um Realität abzubilden. Mir ist es vielmehr wichtig, dass der Betrachter das Foto nicht als Einlass in die Welt benutzt und denkt, er könnte etwas über sie erfahren, sondern dass er zurückgeworfen, ihm der Einlass in die Abbildung verwehrt wird und er zu reflektieren beginnt. Gut wäre, wenn er sich die Frage stellt: Was ist Fotografie, was stimmt eigentlich oder was stimmt nicht auf diesem Foto? Natürlich gibt es immer eine Differenz zwischen Foto und Realität. Ich formuliere diese Differenz übertrieben.
Mit welchem Blick gehen Sie durch Berlin? Was sind Motive für Sie und was nicht? Ist das Neue spannend?
Wenn ich durch Berlin gehe, sehe ich oft nur meine Motive. Das ist der totale Jägerblick. Natürlich interessieren mich Orte, wo Architektur sich mit Gesellschaftsvorstellungen trifft. Die Gropiusstadt etwa gehört dazu. Das meiste ist in der Vergangenheit gelagert, weil es meiner Ansicht nach heute wenig Stadtplanung gibt, die Vorstellungen von Architektur und gesellschaftlicher Vision spiegelt.
Haben Architekturen nicht schon immer gesellschaftliche Verhältnisse gespiegelt? Was ist der Potsdamer Platz oder das Regierungsviertel für Sie?
Der Potsdamer Platz ist im Wesentlichen eine Ansammlung von Geschäften. Sie sind für meine Arbeit nicht interessant. Das Regierungsviertel kommt in Teilen meiner Vorstellung schon näher, weil es dort den Aspekt von Macht gibt. Da wird Architektur inhaltlich gefüllt. Den neuen Hauptbahnhof dagegen sehe ich nur unter ästhetischen Aspekten. Er gefällt mir übrigens recht gut. Als Motiv für meine Bilder dagegen eignet er sich – wie der Potsdamer Platz – nicht.