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Archiv-Artikel

Obdachlose werden jünger

Seit zehn Jahren versorgt der Mitternachtsbus Menschen, die auf der Straße leben. Nüchterne Bilanz: Die Armut zu besiegen ist nicht gelungen. Für ehrenamtliche Helfer gibt es derzeit eine Warteliste

von KAIJA KUTTER

Vor genau zehn Jahren startete der erste Mitternachtsbus seine erste Tour zu den Schlafplätzen der Hamburger Obdachlosen. Seither verteilen ehrenamtliche Helfer in jeder Winternacht und jeder zweiten Sommernacht Decken, warme Getränke, Brot und Kleidung an die Ärmsten der Armen. „Es war damals eine Zeit, in der mit Hinz&Kunzt, den Kirchenkaten und dem Hamburger Spendenparlament viele neue Projekte entstanden“, erinnert Peter Schröder-Reinke vom Diakonischen Werk. „Wir wollten damals die Armut besiegen. Doch es zeigt sich, dass heute immer noch eine konstant hohe Zahl von Menschen auf der Straße lebt.“

Dass der Mitternachtsbus noch genau so gebraucht wird wie früher, belegt die Statistik: Insgesamt 165.681 Mal hatte das Bus-Team in den zehn Jahren „Kontakte“ zu Obdachlosen. Die Zahl der Menschen, die draußen schlafen, schätzt Schröder-Reinke auf „1.200 plus X“.

An Unterstützung aus der Bevölkerung mangelt es dem Mitternachtsbus indes nicht. Die 75.000 Euro Sachkosten werden komplett über Spenden finanziert. Und die ehrenamtlichen Helfer, die in Vierer-Teams eine Rundtour durch die Innenstadt abfahren, vorbei an allen bekannten „Platten“ der Stadt, stehen sogar Schlange: 85 sind zurzeit im Dienst, 23 stehen auf der Warteliste. „Es ist ein Traum, es ist toll, dass wir diese Unterstützung haben“, sagt Projektleiterin Barbara Rieck. „Es zeigt, dass es den Hamburgern nicht gefällt, wenn in einer der reichsten Städte Menschen so arm sind.“

Der Helferjob ist nicht leicht. „Ich hatte am Anfang erhebliche Schwierigkeiten, nach den Fahrten zur Ruhe zu kommen“, berichtet Hans-Ulrich Jacob. Der ehemalige Kapitän ist von Anfang an dabei. „Ich fühlte eine Hilflosigkeit, dass ich das, was ich sehe, nicht beseitigen kann.“ Immerhin traf er kürzlich einen ehemaligen Obdachlosen wieder, der inzwischen eine Wohnung hat.

„Es ist wie das Abtauchen in eine Parallelwelt“, ergänzt Helferin Sonja Stemme. „Ich war ziemlich geschockt zu sehen, wie Menschen da im öffentlichen Raum leben, jederzeit angesprochen und bedroht werden können und darauf angewiesen sind, dass andere ihnen keinen Schaden zufügen.“ Die Zielgruppe sei jünger geworden, berichtet Rieck. „Früher gab es die selbstbewussten Berber, die ihr Leben im Griff haben.“ Heute handele es sich oft um Menschen, die Arbeit, Familie und Freunde verloren hätten. „Ich dachte, ich war vorbereitet, als ich vor zwei Jahren anfing“, sagt Helferin Marlies Thomsen. „Aber dann hat mich umgehauen, wie jung die sind.“ Bei einem schüchternen Mann habe sie an Kleidung und Haarschnitt erkannt, dass er erst kurz auf der Straße lebte, nachdem er seine Arbeit verloren hatte. „Ich dachte, ich kann jetzt nach Hause ins Bett, mir die Decke übern Kopf ziehen. Und die können das nicht.“

Aber es ist die Arbeit im Team, die den HelferInnen gefällt. 14 gibt es, bis zum Sommer sollen es 28 sein. Dann kann auch im Sommer täglich eine Tour gefahren werden. Bis dahin müssen die Neuen eingearbeitet werden, ein Gespräch mit Rieck führen und zwei „Schnupperfahrten“ bestehen. Nicht aufgenommen werden Helfer, bei denen die „Nähe-Distanz-Regulierung“ nicht stimme, sagt die Diakonin. Die Helfer bräuchten ein großes Herz, dürften aber „nicht den Drang verspüren, alle Obdachlosen mit nach Haus zu nehmen“.

Der Mitternachtbus feiert die ganze Woche. Höhepunkt ist neben einem Festgottesdienst am Donnerstag die Aktion „Offener Bus“ mit Schauspieler Jan Fedder am Mittwoch an der Ferdinandstraße 21, bei der interessierte Hamburger den Bus inspizieren dürfen