: „Ein großer, großer Roman“
Ein Produkt der Staatssicherheit. Der Klassenkampfkasper Wolf Biermann wurde 70
Am 15. November 1936 kam Wolf Biermann in die deutsche Welt. Das gibt den Kulturkanälen des Landes 70 Jahre später Anlass, noch einmal die ulkigen Faxen auszustrahlen, die Wolf Biermann zum Zwecke seiner Selbstsegnung ersann. Es ist viel Drolliges dabei: Das Oberhemd offensiv tief aufgeknöpft, wühlt der Mann effekthascherisch in den Saiten einer Gitarre herum, dzoii-oii-oiingt, crescendet und zerrt eine Art Halbstarkenflamenco aus dem gemarterten Instrument, legt den Kopf schief, rollt wild und bedeutungsvoll mit den Augen, grient verschmitzt und hebt an zu nöddeln: „O-o-o-o-o, ich bin’s, ho-ho-ho-ho-ho, ich, der kleine Biermann, ist das nicht großartig, ich, ja-ho-ho-ho-ho …“
Seit Jahrzehnten führt Wolf Biermann das immergleiche Klassenkasperletheater auf, das nur einen Inhalt kennt: Wolf Biermann. Und der sei, verkündet die Legende nach Hausmacher Art, nicht nur ein furchtbar mutiger Kerl, sondern auch ein Sänger und Dichter, die Reinkarnation von mindestens Heine, Shakespeare oder Wasihrwollt, aber hallo, tröööt! Goethe war er auch, na logisch, denn: „die Stasi war mein Eckermann“, rampampampam. Meinte er nicht eher – und ausnahmsweise wahrheitsgemäß – den Reiseveranstalter Neckermann? Und wer will das noch wissen? Auch dem gutgläubigsten und strapazierfähigsten Publikum hat Biermann längst die armen Trommelfelle gestrichen vollgemacht mit seiner Heldensoße.
Nur einer ist noch nicht ermüdet und entnervt vom Eitelpickel Biermann: der Penetrator persönlich. In sich selbst hat er einen unermüdlich begeisterten Zuhörer. Ergriffen lauscht er sich, wenn er ergriffen spricht, zu seinem einen Thema: Wolf Biermann, sein Leben und seine große Bedeutung. „Hätten wir einen Victor Hugo – er müsste einen großen, großen Roman daraus machen“, entquillt es ihm salbungsvoll, der Spiegel hat das in seiner Ausgabe 44/06 dokumentiert. Keinen großen, nein, „einen großen, großen Roman“, mit ihm als einsfünfundsechzig großer, großer Hauptfigur: Mit weniger kommt die Welt nicht davon, wenn es nach Biermann geht. Sprache sagt alles; das gilt auch für das hochtoupierte, aufgebauschte Zeug, das Wolf Biermann von der deutschen Sprache übriglässt.
Wie ist der Mann geworden, was er wurde? So wird doch niemand freiwillig, oder? Ist am Ende mal wieder die olle DDR an allem schuld? Die Stasi? Ich fürchte, ja. Rund 400 hauptamtliche und inoffizielle Stasi-Mitarbeiter füllten Dutzende von Aktenbänden mit Berichten über Biermann – so bläst man einen, der aufblaswillig ist, tatsächlich auf, mobilisiert das Potential zum Größenwahn und schöpft es bis zur Neige aus. Ein solches Ausmaß an paranoider Beschäftigung mit einem einzigen Menschen suggeriert ungeheure Bedeutung – ganz egal, was für Banalitäten und Belanglosigkeiten die eifrigen Spitzel am Ende aufnotierten.
Wolf Biermann ist ein originäres Produkt der DDR-Staatssicherheit. Statt ihn souverän gewähren und den wilden Mann spielen zu lassen, baute die Gedankenpolizei Biermann systematisch zum Mythos und zum Märtyrer auf. Das 1965 verhängte Auftrittsverbot legte nahe, Biermanns Künsten wohne Gefahr inne. Damals wollten viele diesem Fehlurteil folgen, in dem sich Biermann und Stasi vollendet einig waren.
Es folgten das Konzert am 13. 11. 1976 in der Kölner Sporthalle und die Ausbürgerung Biermanns aus der DDR – die sich, von der Westseite betrachtet, rasch als eine Einweisung Biermanns in die Bundesrepublik erwies. Der Westen hatte den Sack am Hacken, und er hörte und hörte nicht auf zu krakeelen, zu ningeln, sich zu blähen und zu spreizen. Hätte man ihn nicht gegen 30 Pfennig Flaschenpfand zurückgeben können? Der Kalte Krieg verhinderte auch diesen Akt der Vernunft und der Menschlichkeit. Im Westen fand Biermann gleichgesinnte Feuilletonisten, also Mitmischer, Strippenzieher und Simulanten. Die Medienpartner-Kameraden halfen, die Mär vom Drachentöter Biermann in der Welt – oder doch wenigstens in der Springer-Welt – zu verbreiten. Doch das Verfallsdatum der von Biermann selbst stets als Markenprodukt feilgebotenen Ware Biermann war seit November 1976 abgelaufen. Anfangs wollte kaum jemand das bemerken, die ganze Aufregung war doch zu schön. Biermann selbst hat es als Einziger bis heute noch nicht gemerkt. Knötternd steigt der vorlaute Gammelclown auf alle Stühle, winkt, „Hier bin ich! Hier bin ich!“, verströmt als routinierte rhetorische Nebelmaschine Eigenweihrauch en gros, stellt sich ins Spiegelkabinett und freut sich stolz über die vielen Zuschauer – oder, wie er sagen würde: über „die vielen, vielen Zuschauer“. WIGLAF DROSTE