: Gegen den schmierigen Fahrstuhlsound
FESTIVALSTART Die junge Berliner Jazz-Szene organisiert mit dem Kollektiv Nights seit drei Jahren ihr eigenes Festival. Dank Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds sind dieses Mal auch Gäste quer aus Europa vertreten
VON CHRISTIAN BROECKING
Wäre er Kulturminister und müsste die Art Bands hören, die hier heute so als Jazz vermarktet werden, würde er die Förderung verweigern. Der Saxofonist Wanja Slavin jedenfalls hasst jenen „schmierigen Fahrstuhlsound“ und redet lieber von ernsthafter Musik, die er mit Idealen und Moralvorstellungen überbaut. Der 28-Jährige gehört zu den jüngsten Repräsentanten der acht Bandleader, die sich vor drei Jahren als Jazzkollektiv Berlin organisiert haben. Ihr erstes großes Festival findet nun vom 9. bis 12. Dezember im Babylon Mitte in Berlin statt. Es ist auch eine Werkschau der mittlerweile renommierten Berliner Improvisationsszene, und ein Schwerpunkt deutet sich schon im Festival-Motto an: Jazzkollektiv Berlin presents European Collectives.
Kein Interesse an Profit
Für den Posaunisten Gerhard Gschlößl kam der Kollektivgedanke mit der Erfahrung, die er bei den italienischen Kollegen von Gallo Rojo machte. Im Kollektiv des Bassisten Danilo Gallo, der auch in Berlin auftreten wird, sind 14 Bandleader organisiert. Sie haben ein eigenes Plattenlabel gegründet und organisieren ihre Konzerte selbst. Doch in jüngster Zeit klagen sie über die Kulturpolitik der Berlusconi-Regierung, Fördermittel würden gestrichen, das Klima sei kunstwidrig. „Im Grunde wollen alle nach Berlin“, resümiert Gschlößl, der auch schon beim Massa Lombarda Festival von Gallo Rojo aufgetreten ist. Beim angeschlossenen Label „El Gallo Rojo Records“ hat Gschlößl auch die Debüt-CD seines Berlin-Kölner Quartetts Schnittmenge Meier veröffentlicht, ein paar Stücke wie „Auseinandersetzung mit dem Islam“ kann man auf MySpace hören, und bei Amazon ist „R.E.A.L.“ als MP3-Album zu haben.
„Wir sind ein profitlos orientierter Zusammenschluss von Musikern, Bandleadern, Komponisten, wir wollen uns nicht individuell bereichern, sondern eventuelle Überschüsse werden auf alle Kollektivmitglieder verteilt“, so Gschlößl. Seinen Freunden von Gallo Rojo hat er in Berlin eine 2-Raum-Wohnung mit Ofenheizung besorgt, die sich fünf Kollektivisten teilen, die Briketts besorgt Gschlößl für sie. „Berlin ist ein Pool, man kann hier zwar bestenfalls auf Eintritt oder für den Hut spielen, doch es wird musikalisch sehr viel experimentiert.“
Für sein internationales Festival hat das Jazzkollektiv Berlin vom Hauptstadtkulturfonds 75.000 Euro erhalten, insgesamt wurden an die 100 Musiker eingeladen, die Mindestgage legte das Kollektiv mit 300 Euro pro 45 Minuten Konzert und Musiker fest. Man bewege sich damit zwar am untersten Rand der üblichen Festivalgagen, kommentiert der Saxofonist Philipp Gropper, doch aus der Sicht des Pianisten Marc Schmolling wollte man eben auch so viele Aktivitäten wie möglich abbilden. Ein besonders hoher Etat fließe in die Außenwerbung, um möglichst viel neues und junges Publikum auf sich aufmerksam zu machen.
Gropper ist mit seiner Band Hyperactive Kid gerade erst aus New York zurück, kurz zuvor war das Trio zum Festival des französischen Kollektivs Yolk eingeladen. Dort seien die Zustände in jüngster Zeit ebenfalls eskaliert. Die hohen Mieten in Paris beeinflussen die Programmatik, berichtet Gropper, die Leute müssten dort ein hohes Risiko für ihre Musik eingehen. Eine Saalmiete von 1.000 Euro sei für experimentelle Musik viel zu hoch, und auch das ist wohl ein wesentlicher Faktor, warum in Berlin heute so viel mehr passiert. Yolk war zudem eine Zusage für Fördergelder kurz vor Beginn des Festivals gestrichen worden, doch ohne Kollektiv hätte es wahrscheinlich gar keine Einladung gegeben, vermutet Gropper. Durch die zahlreichen Kollektivgründungen in jüngster Zeit entstehe ein internationales Netzwerk, das neue Auftrittsmöglichkeiten für die beteiligten Musiker schafft.
Spenden vom Publikum
Neben Gallo Rojo und Yolk wird auch das dänische Kollektiv ILK mit der Band Anderskov Accident in Berlin vertreten sein. „Dänemark geht anders mit seinen Künstlern um als Deutschland, sie stecken Geld in ihre eigenen Bands und lassen sie bei nationalen Festivals auftreten. Wenn man einen Gig in einem normalen dänischen Club spielt, erhält man umgerechnet 220 Euro pro Abend“, berichtet Gropper.
In Berlin sei man mittlerweile auf die Spendenbereitschaft des Publikums angewiesen, die Clubs würden nur noch selten Gagen zahlen. Auch die dänischen Kollektivisten haben mittlerweile eine Wohnung in Berlin, die werde jedoch von Staat bezahlt. Sein Studium habe den deutschen Staat 100.000 Euro gekostet, sagt Slavin, doch die Fördermittel für professionelle Jazzmusiker, die sich nicht dem Unterhaltungsbereich verschreiben wollen, seien hier derart begrenzt, dass nur ganz wenige von ihrer künstlerischen Arbeit leben könnten.
Die Subventionsschiene hält er langfristig für eine Sackgasse, Slavin setzt vielmehr auf eine andere gesellschaftliche Einstellung zum Jazz. Das sei dann eher eine politische Mission. Auch dazu seien Kollektive gut.
■ Kollektiv Nights, Babylon Mitte, bis 12. 12.; www.jazzkollektiv.de