SPäTE NICHTRAUCHERIN : Tante Erna hat Kraft
Tante Erna hat aufgehört mit Rauchen. „Seit wann rauchen Sie denn schon?“, hat die Ärztin im Sommer gefragt, als Tante Erna die schlimme Bronchitis hatte, und Tante Erna hat wahrheitsgemäß geantwortet: „Eigentlich schon immer.“ Und dann hat sie aufgehört. Mit Anfang sechzig. Seitdem müssen Paul und ich auf dem Balkon rauchen, wenn wir zu Besuch kommen. „Ja, Kinderchen, raucht mal!“, ruft Tante Erna dann. „Raucht so viel und so lange, wie ihr könnt! Das ist ja so was Schönes.“ Und dann versucht sie Klaus zu erklären, wie schön das ist: „So nach dem Essen…“ Mehr hören wir nicht, dann ist die Balkontür zu. Klaus ist der Freund von Tante Erna und überzeugter Nichtraucher, aber er sagt, wenn er sich das noch lange anhören muss, fängt er am Ende noch selber an.
„Das Schlimme ist“, sagt Tante Erna, „sie haben recht. Mit allem. Man kommt wirklich besser die Treppe hoch. Kinder, ich sag euch“, sagt sie, „ich hab so viel Energie, ich kann vor Kraft kaum noch laufen.“ Klaus, der früher mal Sportlehrer war, sagt, er sähe sie auf dem Fahrrad nur noch von hinten. „Außerdem kann ich jetzt viel mehr trinken als früher“, sagt sie.
Neulich war Tante Erna auf dem Geburtstag eines alten Freundes. Den hatte sie zwei Jahre nicht gesehen. „Der ist dick geworden“, sagt sie, „so richtig mit Hintern rechts und links vom Stuhl runter. Und wisst ihr, was der erzählt hat?“ Wir ahnen es, gucken aber fragend. „Er hat mit Rauchen aufgehört! Ein halbes Jahr ist gar nichts passiert, sagt er, und dann hat er dreißig Kilo zugenommen. Dreißig Kilo!“ Ein Hauch Panik schwingt in Tante Ernas Stimme mit. Man muss an der Stelle erwähnen, dass Tante Erna eine sehr schöne Frau ist, Fettleibigkeit kommt in ihrer Familie nicht vor. Doch jetzt hat sie beschlossen, Trennkost zu essen. Vorbeugend. Klaus sagt, bald fleht er sie an, wieder mit dem Rauchen anzufangen.
LEA STREISAND