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Archiv-Artikel

Hundertprozentige und Halbherzige

POLITSPIEL Die Opposition will die Tempelhof-Abstimmung zu einem Votum über Wowereit machen. Doch komplett gegen Bebauung ist sie eigentlich auch nicht

„Würden Sie diesem Mann noch einen Flughafen anvertrauen?“, fragen die Grünen auf Plakaten

BERLIN taz | Der Mann auf den Grünen-Plakaten zum Volksentscheid hängt müde in seinem Sessel. Erschöpft sieht er aus – der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit von der SPD. Von dem eigentlichen Abstimmungsthema, der Nutzung des früheren Flughafengeländes in Tempelhof, ist auf dem Plakat nichts zu sehen. Längst ist der Volksentscheid am 25. Mai mehr als eine bloße Abstimmung über Wohnungsbau. Während die Berliner Regierungsparteien SPD und CDU den Entscheid zu einer Grundsatzfrage über die Zukunftsfähigkeit Berlins hochreden, sehen nicht nur die Grünen darin eine Abstimmung über zweieinhalb Jahre rot-schwarze Koalition – und Wowereit.

Das Volksbegehren mit dem Ziel, die über 300 Hektar – mehr als 400 Fußballplätze – große Fläche des 2008 geschlossenen innerstädtischen Flughafens Tempelhof auch nicht das kleinste bisschen zu bebauen, galt zu Beginn als wenig chancenreich. Zu lokal, zu sehr auf die direkten Nutzer beschränkt – Inline-Skater, Drachensteigen-Lasser, Griller, Radler oder Jogger. Doch wider Erwarten brachte die Initiative die nötigen 183.000 Unterschriften zusammen, um einen Volksentscheid zu erzwingen. Es ist der fünfte seit Einführung der Volksgesetzgebung im Jahr 2006, erst einer war erfolgreich. Der Flughafen Tempelhof selbst war Thema des ersten: unterstützt von der CDU forderte eine Initiative aus Flugfreunden und Nostalgikern vergeblich, den Flughafen weiterzubetreiben.

Dieses Mal ist treibende Kraft die Initiative „100 % Tempelhofer Feld“. Darin treffen sich sich Feldnutzer, Umweltschützer und Gruppen, die sich um das historische Erbe des Flughafens sorgen – der ist nicht nur untrennbar mit der Luftbrücke während der Berlinblockade 1948/49 verbunden, sondern auch mit einem NS-Zwangsarbeiterlager.

Hintergrund der Bebauungspläne ist Wohnungsmangel in der Berliner Innenstadt, der sich absehbar verschärfen wird: Selbst nach sehr vorsichtigen Schätzungen wird die Hauptstadt bis 2030 um eine Viertelmillion Einwohner wachsen. Das macht den Wohnraum nicht nur knapp, sondern auch teuer und sorgt bereits jetzt für Verdrängung aus beliebten Stadtteilen.

Die für den Rand des ehemaligen Flugfelds geplanten 4.700 neuen Wohnungen halten im Grunde auch die Oppositionsfraktionen im Berliner Landesparlament, dem Abgeordnetenhaus, nicht für falsch. Bloß anders soll es sein: weniger (Linkspartei), ökologischer (Grüne) oder demokratischer (Piraten).

Weil aber auf dem Stimmzettel für den Volksentscheid kein Wünsch-dir-was, sondern nur ein Ja oder Nein zu den Bebauungsplänen des Senats möglich ist, kommt es zu der Situation, dass sich Parteien, die eine Bebauung eigentlich befürworten, eine Ablehnung empfehlen.

Aber auch aufseiten der Bürgerinitiative ist die Lage teils verworren. Zu Jahresbeginn wählte der Trägerverein seinen Vorstand ab. Einer der Gründe ist eine unterschiedliche Sichtweise, wie lange das Ergebnis des Volksentscheids denn gelten sollte: dauerhaft, wie im Volksbegehren für ein 100-prozentig freies Feld nahegelegt? Oder doch eher nur als eine Art aufschiebender Baustopp, bis gefälligere Planungen vorliegen, wie es die Berliner Grünen angedeutet haben?

Die Grünen-Strategie, den Volksentscheid zu einer Abstimmung über Wowereit zu machen, dockt auch an eine SPD-interne Diskussion an. Bei den Sozialdemokraten rumort es seit Anfang 2013, seit Wowereit, damals und heute wieder Aufsichtsratsvorsitzender des Pannenflughafens BER, mit einer erneuten Eröffnungsverschiebung auf unbekannte Zeit rausrücken musste. Seither rangeln Partei- und Fraktionschefs um seine Nachfolge, gehen die SPD-Umfragewerte parallel zu Wowereits Beliebtheit in den Keller. „Würden Sie diesem Mann noch einen Flughafen anvertrauen?“, haben die Grünen darum quer über ihr Wowereit-Bild geschrieben. STEFAN ALBERTI