: Der Mann, der Wowi wichtig macht
Wird Berlin jetzt plötzlich wichtig? Lange hatte man über die Ankündigung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) gerätselt, er wolle nach der Landtagswahl vom September nun endlich bundesweit mehr mitreden. Jetzt hat er sich immerhin einen der wichtigsten Landespolitiker in die Hauptstadt geholt. Nirgends haben die Länder so viel zu sagen wie in der Bildungspolitik, und kein SPD-Bildungspolitiker ist so erfahren und einflussreich wie Jürgen Zöllner, seit 15 Jahren Ressortchef in Rheinland-Pfalz und damit dienstältester Wissenschaftsminister der Republik.
Schon in den Neunzigerjahren hatte der heute 61-Jährige jene schulischen Vergleichstests vorangetrieben, die dann in den Pisa-Schock und einheitliche Bildungsstandards mündeten. In der Hochschulpolitik führte Zöllner, von Haus aus Professor für Molekularbiologie und Gentechnologie, die Gegner von Studiengebühren an. Als Gegenkonzept entwickelte er die Idee von kostenlosen Bildungsgutscheinen für das Erststudium, die jeder Student an einer Hochschule seiner Wahl einlösen kann – ohne dass er mit den Gebührenflüchtlingen aus dem benachbarten Hessen gerechnet hätte.
Kurioserweise war der Mann, der in der Pisa-Debatte eine solch maßgebliche Rolle spielt, für die Schulen zuletzt gar nicht mehr zuständig. Nach der Landtagswahl 2001 hatte der Ministerpräsident und heutige SPD-Bundesvorsitzende Kurt Beck das Zöllner-Ressort auf die Wissenschaft zurechtgestutzt. Neue Kultusministerin wurde die damals erst 36-jährige Doris Ahnen. Der professoral wirkende Zöllner, der gerne komplizierte Sätze bildet und zu seiner weißen Haarpracht stets Fliege trägt, galt in der Modernisierungseuphorie jener Jahre nicht mehr als zeitgemäß.
Die Zurücksetzung von damals mag ein Motiv dafür sein, dass sich Zöllner den unmöglichen Job in Berlin nun antut. Anders als im idyllischen Rheinland-Pfalz muss er sich hier mit Finanzlöchern und Problemschulen herumschlagen. Dafür bekommt er ein umfassendes Bildungsressort mit Schulen und Hochschulen gleichermaßen – und ohne die Kultur, die in Berlin wie in Rheinland-Pfalz nur undankbare Debatten über Opernschließungen oder Orchesterfusionen mit sich bringt.
Außerdem sitzt er als Strippenzieher der bundesweiten Bildungsdebatten künftig im Zentrum des Geschehens, wo er die machtlose CDU-Bundesministerin Annette Schavan in den Schatten stellen kann. Als Becks Statthalter in der Hauptstadt verkörpert Zöllner zudem die Liaison zwischen Rheinland-Pfalz und Berlin, den letzten zwei Bundesländern, in denen die SPD ohne die Union regiert. RALPH BOLLMANN