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Archiv-Artikel

Erstaunliche Erfolgsgeschichte

Hilmar Bender hat die Hamburger Band Tomte begleitet: auf Tournee und in die Höhenlagen der deutschen Verkaufscharts. Daraus hat er ein Buch gemacht. Und daraus wiederum liest er nun – nicht nur in Hamburg

Es bleibt der Eindruck einer großen Bodenständigkeit

VON ANDREAS SCHNELL

Es klingt wie ausgedacht – und ist es natürlich auch: „Du bist der Typ, der ein Tourtagebuch schreibt über die Band von dem Typen, der das Tourtagebuch von ‚Tocotronic‘ schrieb.“ Das sagte ein Freund eines Kreuzberger Abends zu Hilmar Bender, Dieser, Jahrgang 1968, hatte sich erste schreiberische Meriten als Mitarbeiter des Hardcore-Fanzines Zap erworben und wohnte da in „Hardcorehausen“ Hannover. Just zuvor hatte der erwähnte Freund davon erzählt, dass er gerade die Punk-Band „Propagandhi“ durch Europa kutschiere. „Da dachte ich“, erzählt Bender im Rückblick, „darauf hätte ich auch mal Bock.“

In den frühen 90er Jahren, als Hardcore und Punk noch weit mehr bedeuten wollten als bloß eine Musik, als Fans noch Fanzine-Macher wurden und/oder in Bands spielten und/oder Konzerte veranstalteten, da trafen sich Hilmar Bender und Thees Uhlmann – das ist jener Typ, der das Tourtagebuch von „Tocotronic“ schrieb - beim Fanzinetreffen in Neuss. Da gab es Uhlmanns Band „Tomte“ schon, war aber nur einem kleinen Kreis bekannt. Dazu zählte auch Hilmar Bender. „Ich hab damals das erste ‚Tomte‘-Demo fürs Zap besprochen.“ Das war am 5. April 1994. „Tomte haben mir erzählt, dass sie in Hemmoor ihre Tape-Release-Party machen wollten. Am gleichen Tag hat sich Kurt Cobain erschossen, da lief dann die ganze Zeit MTV, das war das interessantere Thema.“

Neun Jahre später, 2003, sind Tomte schon mehr als nur ein Insider-Tipp, spielen Konzerte vor 150 bis 200 Leuten. Bender ruft Thees Uhlmann an und fragt, was der von der Sache mit dem Tourtagebuch halte. Nach einer kurzen Bedenkzeit konnte es losgehen. Das verbindende Band war die Idee einer Szene – die Idee, man könnte mit der richtigen Musik, ein paar guten Ideen und einer Handvoll Idealisten die Welt aus den Angeln heben. Oder doch zumindest eine andere Welt innerhalb der abgelehnten Verhältnisse einrichten. Das Studium taugte vielen damals noch zum Vorwand, sich für ein Weilchen herauszuhalten aus dem ganzen Mist, den die bürgerliche Gesellschaft bereit hielt. Für manche – siehe Uhlmann – klappte das dann auch längerfristig. Bender bekam die Gelegenheit, den Durchbruch von Tomte hautnah mitzuerleben: von 0 auf 4 in den deutschen Charts.

Nach langen Jahren als Roadie von „Tocotronic“, des Schreibens (unter anderem für Intro) und unermüdlichen Konzertespielens ist Uhlmann, sind Tomte mit eigenem Plattenlabel Grand Hotel van Cleef (GHVC) auf dem Weg nach oben. Ale Sexfeind, irgendwann mal bei den „Goldenen Zitronen“ und selbst Betreiber des Kleinlabels Buback, soll gesagt haben: „Ihr seid doch die Wahnsinnigen, die auf die Idee gekommen sind, Ende 2002 ein Label zu gründen?“ Wahnsinnig deshalb, weil da weite Teile der Branche in Scherben gegangen waren.

Die heikle Gemengelage aus prekärer Arbeit bei akademischem Hintergrund und hohem Idealismus lässt den GHVC-Machern das Leben für die Kunst – den klassischen Boheme-Entwurf – nach wie vor attraktiv erscheinen. Und hatte nicht irgendwann mal Punk gezeigt, dass man fast alles selbst machen könne? Hypothek und Vorzug einer Generation, die die Schule verließ, als die Mauer fiel. Der gehören Bender ebenso wie Uhlmann und die „Kettcar“-Musiker Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff an, mit denen zusammen Uhlmann GHVC betreibt. Eine der erstaunlichsten Erfolgsgeschichten im Rock in der Nachwende-Bundesrepublik.

Und eine, das bestätigt Benders Buch, die so gar nichts Sensationelles hat, eher schon hanseatisch solide wirkt: „Marcus Wiebusch ist da zum Beispiel ziemlich konservativ“, erzählt Bender. „Der hat jahrelang immer nur Etap-Hotels gebucht, da haben alle schon gekotzt, weil sie darauf keinen Bock mehr hatten.“

Ganz am Anfang von „Schönheit der Chance“, als Inspiration, erwähnt Bender „Get In The Van“ von Henry Rollins: ein fulminantes Buch, das erzählt, wie alles begann mit dem Hardcore-Genre – Gewalt, Schlaflosigkeit, Konzerte in Garagen, übernachten im Tourbus. Aber auch wenn in jedem Tourbus spätestens zehn Minuten nach der Abfahrt ein Proll-Niveau herrscht, „das weit niedriger ist als in jeder Bundeswehrkaserne“, wie DJ Koze mal gesagt hat, ist der Sex-und-Drogen-Teil des Slogans „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ im Fall von Tomte also abgehakt. Es bleibt der Eindruck einer großen Bodenständigkeit. „Tomte machen einen Teil des Rock-Zirkus’ bewusst nicht mit, was dann auch wieder eine Attitüde wird“, sagt Bender. „Bodenständigkeit als Idee – wo ich manchmal denke: Geht das überhaupt? Das ist ein anderer Entwurf. Auch wenn Thees sagt, er hätte gern englische Verhältnisse wie bei ‚Blur‘ und ‚Oasis‘. Er hat dann einen Bandkrieg mit ‚Sportfreunde Stiller‘ erfunden. Sowas wird von den Medien sofort aufgenommen.“

Könnte man sagen, dass Tomte für spezifisches künstlerisches und ökonomisches Modell innerhalb ihrer Szene stehen? „Für Deutschland kann man das vielleicht sagen“, meint Bender. „Marcus Wiebusch und Reimer von ‚Kettcar‘ haben jahrelang mit der Band ‚…But Alive‘ Punk gemacht. Dennis und Olli von Tomte haben in Post-Hardcore-Bands wie ‚Lebensreform‘ und ‚Enfold‘ Krach gemacht. Musikalisch, aber auch von der Idee her, sein eigenes Label, seine eigene Platte zu machen, sind diese Wurzeln da.“

Was in gewisser Weise auch für Hilmar Bender selbst gilt: Studiert hat er Geografie, „aber nie eine Mark damit verdient“. Den New-Economy-Boom erlebte er in einer Werbeagentur, der Crash setzte ihn auf die Straße. „Seitdem schlag ich mich so durch“: mit Werbetexten und anderen Jobs, einem kurzfristigen Engagement für den Allegra-Relaunch, bei dem er nach einer Ausgabe ausgebootet wurde. Aber er macht weiter. Was auch sonst? Demnächst erscheint sein Buch „Wunderwege – Parcours zu Bremer Merkwürdigkeiten aus Kunst und Wissenschaft“.

Hilmar Bender, „Die Schönheit der Chance. Tage mit Tomte auf Tour“, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2006, 256 Seiten, 14,90 Euro. Lesung, begleitet von Thees Ullmann/Tomte und seiner Gitarre: 24. 11.: Hamburg, Grünspan, 3. 12.: Bremen, Tower