: Bloß keine Gewissensbisse
taz-Serie „Solidarische Ökonomie“ (Teil 5): Die Biobäckerei Beumer und Lutum will keine Gesinnungsadresse sein, sondern effizient wirtschaften. Vom Kollektivgedanken haben sich die beiden Geschäftsführer abgewendet. Trotzdem glauben sie an gelebte Solidarität – und an den guten Geschmack
Von NINA APIN
Bei Beumer und Lutum liegen Ciabatta, Himbeer-Mohn-Torte und dick glasierte Pfannkuchen gleichberechtigt neben Hafervollkornbrot und Dinkeltalern. Die Auswahl am Verkaufstresen ist Aushängeschild und Erfolgsrezept der Kreuzberger Biobäckerei.
Alle Zutaten stammen aus biologisch kontrolliertem Anbau, bei der Herstellung wird auf Fertigteige und chemische Backtriebmittel verzichtet. Den Kuchen und Teilchen sieht man aber nicht unbedingt an, wie gesund sie sind. Man schmeckt es auch nicht: Die Croissants sind nicht aus schwerer pappiger Vollkornmasse, sondern luftig und leicht, und die Laugenbretzeln schmecken wie in Schwaben. In den hellen Laden- und Caféräumen in der Cuvrystraße mischen sich darum bewusste Anhänger von Vollkornkost mit Kunden, die kommen, weil sie die Vielfalt an guten Kuchen schätzen.
„Wir wollen keine Gesinnungsadresse sein“, sagt Christa Lutum, die in weißer Arbeitskleidung in dem kleinen Büro über der Bäckerei sitzt. „Die Leute sollen bei uns nicht wegen des Gewissens einkaufen, sondern wegen des Geschmacks“. Die 44-jährige Bäckerin kennt sämtliche Spielarten ihres Handwerks – und hat sich bewusst entschieden, zwischen den Stühlen zu sitzen. In einem konventionellen Familienbetrieb in Westfalen lernte sie das Backen nach alten Rezepten, in Berlin schloss sie sich einem Kollektiv an, das Ökologisches und Vollwertiges produzierte. Dass die Kunden bei ihnen Vollkornbrot kauften und sich anschließend mit schlechtem Gewissen woanders eine Donauwelle holten, war für sie Anlass, sich vom strikten Vollkorncredo abzuwenden. Und schließlich auch vom Kollektivgedanken.
Die Bäckerei, die sie 1993 zusammen mit ihrem ehemaligen Kollektivmitstreiter Antonius Beumer eröffnete, ist ein ganz normaler mittelständischer Betrieb. Beumer und Lutum sind heute Inhaber und Geschäftsführer einer GmbH, die in zwei Kreuzberger Filialen 40 Vollzeitangestellte, 20 Teilzeitkräfte und 6 Auszubildende beschäftigt und 3 Millionen Euro im Jahr umsetzt. „Strukturen, in denen jeder alles macht, sind auf die Dauer nicht zukunftsweisend“, sagt Antonius Beumer lakonisch. Auch er kommt aus Westfalen, hat Sozialwissenschaften studiert und in den verschiedensten solidarischen Betrieben mitgearbeitet. Von der Arbeitsweise im Kollektiv ist er mittlerweile nicht mehr überzeugt: langwierige Entscheidungsprozesse, unklare Zuständigkeiten und Technikfeindlichkeit – stattdessen möchte er „effizient reden und arbeiten“.
An gelebte Solidarität glauben er und seine Geschäftspartnerin trotzdem noch. „Fair handeln im eigenen Land“, nennt es Beumer. Das Getreide für die Backwaren kommt aus Brandenburg, um unnötige Transportwege zu vermeiden. Faxe, die billiges Biogetreide aus Polen anbieten, landen gleich im Papierkorb. Und statt um jeden Cent zu feilschen, behandeln Beumer und Lutum ihre Lieferanten wie Partner. Deutsch verdienen und chinesisch einkaufen, dieses widersprüchliche und im Bäckereigewerbe gängige Verhalten wollen Beumer und Lutum nicht mittragen. „Wir haben den Anspruch, authentische Waren herzustellen“, sagt Christa Lutum.
Dazu gehören nicht nur ökologisch einwandfreie Rohstoffe, sondern auch korrekte Löhne und Arbeitsbedingungen für Müller, Bauern und die eigenen Angestellten. „In manchen Bäckereien wird gearbeitet wie um die Jahrhundertwende“, Beumer erzählt von dunklen, feuchten Backstuben und ausgebildeten Konditoren, die den ganzen Tag nur Fertigmischungen aufbacken. In der Cuvrystraße ist das anders: Dort bekommen die Mitarbeiter übertarifliche Löhne, reden bei wichtigen Betriebsentscheidungen mit und entwickeln eigene Rezepte.
Die stehen bei Beumer und Lutum im Vordergrund. Auf das Wiederentdecken und originalgetreue Nachbacken überlieferter Rezepte verwenden die Kreuzberger viel Sorgfalt. Ob es das kräftige Paderborner Landbrot aus ihrer westfälischen Heimat ist oder die Laugenbrezeln, für die ein Bäcker zwei Wochen lang in einer schwäbischen Backstube lernte: „Es geht uns um Qualität und Geschmack.
Aber auch darum, nicht mit der Not anderer Leute Geschäfte zu machen“, sagt Christa Beumer. Dass sie und ihr Partner sich im Verdrängungswettwerb der Bäckereibranche diese Attitüde leisten können, findet sie nicht ungewöhnlich. „Erstens arbeiten wir hart und effizient. Zweitens hat bei den Kunden ein Umdenken stattgefunden“, beobachtet sie. „Immer mehr Leute verstehen, was wir hier machen und finden es gut.“ Als sie in den 80er-Jahren nach Berlin kam, fand sie nichts als billige Einheitsware aus Weißmehl und Chemie vor – geschmacklich ein Entwicklungsland. Inzwischen werde die von ihr angebotene Vielfalt von etwa achtzig belieferten Berliner Cafés, Märkten und Büros geschätzt, freut sich Christa Lutum. Die jahrelange Geschmackserziehung hat sich gelohnt.
In den verwinkelten Produktionsräumen der Bäckerei wird Handarbeit mit Hightech geleistet. Das Getreide wird von der Straße aus mit Hochdruck in die Stahlsilos im Keller gepumpt, gemahlen wird es in einer hochmodernen Mühle. Lutum prüft selbst die Teiglinge, die Bäcker Achim für das Paderborner Landbrot angesetzt hat, und schaut zu den Frauen herein, die per Hand Chili-Lebkuchen zu aufwändigen vorweihnachtlichen Päckchen schnüren.
Kürzlich hat die Bäckerei expandiert, in den Räumen einer Mieterberatung wird jetzt ein täglich wechselnder Mittagstisch angeboten. Seit diesem Jahr können die Kunden auch Suppen und Aufläufe verspeisen. Mit Zutaten aus kontrolliertem biologischen Anbau, zu fairen Preisen.
Wer bei Beumer und Lutum tätig ist, muss gerne arbeiten. Den meisten ihrer jungen Auszubildenden müssten sie die Freude an harter Handwerksarbeit und beim Verkauf am Tresen erst beibringen, erzählt Lutum. Viele kämen mit völlig unrealistischen Vorstellungen und würden statt Bäcker lieber Webdesigner werden. „Ich sage denen immer: Bei uns kannst du Brötchendesigner werden, das ist doch auch was“, lacht Lutum. Auf die junge Frau an der Theke hat ihre Begeisterung für gutes und gesundes Backwerk offenbar schon abgefärbt. „Nehmen Sie unbedingt die Kürbis-Spinat-Quiche“, rät die junge Bäckereiverkäuferin einer Kundin. „Aber essen Sie sie kalt. Das Aufwärmen ist nicht gesund, wegen der Nitrate.“