: Der Zug ist abgefahren
Von Dominic Johnson
Die Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo wurden als historisches Ereignis gelobt, als wichtigster politischer Fortschritt in Afrika seit dem Ende der südafrikanischen Apartheid 1994. Doch eine Demokratiedividende erhält Kongo nicht. Wenn die gewählte Regierung unter Präsident Joseph Kabila im Januar 2007 ihr Amt antritt, findet sie leere Kassen vor und strenge Bedingungen der internationalen Geldgeber.
Im Kongo, früher Zaire, sind in den vergangenen Jahrzehnten Milliardensummen aus dem Ausland versickert – nicht spurlos, sondern sehr sichtbar, im ordinären Reichtum einer verschwindend kleinen Elite. Die Zeiten, wo Diktatoren sich Hochzeitstorten und Champagner per Concorde einfliegen ließen, sind heute vorbei; die Praxis, staatliche Kassen zu plündern, ist es nicht. Von 2,2 Milliarden Dollar, die allein die Weltbank seit 2001 in Wiederaufbauprojekte im Kongo gesteckt hat, sind schätzungsweise ca. 500 Millionen veruntreut worden. Im Frühjahr 2006 stellte der Internationale Währungsfonds seine Zuwendungen für den Kongo ein, als bekannt wurde, dass die Regierung 70 Millionen Dollar aus der Zentralbank für „ostentative Ausgaben“ abgezweigt hatte.
„Die neue Regierung erbt eine schwierige Lage“, ist der diplomatische Ausdruck des Weltbank-Repräsentanten in Kinshasa, Jean-Michel Happi. „Sie wird beweisen müssen, dass sie zu Maßnahmen zur ökonomischen Stabilisierung in der Lage ist. Wir sind dabei, über einen Vertrag – oder eher eine Partnerschaft – zur guten Regierungsführung nachzudenken, um den Dialog mit der Regierung zu führen. Es wird um einen besseren Umgang mit den öffentlichen Geldern und einen effektiveren Kampf gegen Korruption gehen.“
Anders gesagt: Erst jetzt kann man im Kongo einen funktionierenden Staat aufbauen, und das Ausland wird klare Bedingungen stellen. Seit 2003 hatte Kongos Übergangsregierung rivalisierender Warlords nur überlebt, weil vom Ausland Milliardenzuwendungen kamen und die größte UN-Blauhelmmission der Welt den Eindruck militärischer Stabilität erzeugte. Um des Friedens willen hielt die internationale Gemeinschaft ein korruptes und gewalttätiges Staatswesen am Leben. Nach den Wahlen muss dieses Staatswesen erst einmal gebändigt werden. Ganz das Gegenteil dessen, was man eigentlich in einem der ärmsten Länder und der heißesten Kriegsherde der Welt nach geglückter Demokratisierung erwarten würde.
„Monuc“ wird noch bleiben
Auf politischer Ebene dient dazu der kontrollierte Entzug der internationalen Militärpräsenz. Die 2.200 Mann starke EU-Truppe Eufor geht ab 30. November, und selbst wenn sie bis zu Kabilas Amtseinführung am 10. Dezember aktiv bleibt, ist sie bei Einsetzung der neuen Regierung im Januar Geschichte. Die 17.000 Soldaten zählende UN-Mission „Monuc“ wird noch Jahre bleiben, aber ab der nächsten Mandatsverlängerung im Februar wird eine Diskussion um eine Schwerpunktverlagerung der UN-Tätigkeit einsetzen: von militärischen Aufgaben wie Kampf gegen irreguläre Milizen auf politische Aufgaben wie Beratung der neuen Institutionen.
UN-Generalsekretär Kofi Annan führt das in seinem letzten Kongo-Bericht wie folgt aus: „Im Kontext des langfristigen Aufbaus von Institutionen, einschließlich Reform der Regierungsführung, des Sicherheitssektors, des Umgangs mit natürlichen Ressourcen und der Dezentralisierung, würde Monuc nationale Planungs- und Reformprozesse vorschlagen, ermöglichen und unterstützen und die Geber befähigen, die Umsetzung solcher Prozesse kohärent zu unterstützen.“ Das klingt spannend, aber viele erfahrene Monuc-Veteranen suchen sich schon jetzt neue Jobs: Im Kongo macht man keine Karriere mehr. Die Bedeutung der UN wird geringer.
Eine größere Rolle werden internationale Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank spielen. Statt Geschenke gibt es Auflagen. Schon im Wahljahr 2006 arbeitet Kongos Regierung ohne fremde Budgethilfe, mit einem Notsparprogramm, das der IWF im Juni nach Einstellung seiner Gelder Kabila aufzwang. Darin werden vor allem die Staatsausgaben unter das eigentlich verabschiedete Niveau des 2,2 Milliarden Dollar umfassenden Haushalts 2006 gekürzt.
Am 14. Oktober, kurz vor der Stichwahl, kam ein weiteres Notprogramm dazu, weil die Vorgaben von Juni nicht eingehalten worden waren. Dieses „Korrekturprogramm“ streicht die Kreditaufnahme der Regierung zusammen und suspendiert alle „nicht zwingenden“ Ausgaben, auch die für die Machtübergabe an gewählte Institutionen. Nur so könnten die IWF-Vorgaben noch bis Jahresende eingeholt und damit Risiken für 2007 vermieden werden.
„Das haben die Geldgeber diktiert. Man kann es nehmen oder lassen“, erklärt ein hoher Regierungsfunktionär. 2007 wird es nicht einfacher, warnt Weltbankchef Happi. „Die Regierung war nicht in der Lage, ihre Ausgaben in den Griff zu kriegen, und diese Situation wird andauern und die zukünftige Regierung behindern“, meint er. „Die neue Regierung wird kurzfristig gezwungen sein, die Ausgaben zu kürzen.“
In erster Linie trifft das die Gehälter im öffentlichen Dienst – sie sind niedrig und werden unregelmäßig gezahlt; ein Anreiz für Korruption. Sie werden jetzt bei 360 Millionen Dollar im Jahr gedeckelt. Gehaltserhöhungen gab es 2006 nicht, trotz einer Inflation von über 20 Prozent. Die Tendenz, für jede Tätigkeit die Hand aufzuhalten oder sich von gut bezahlenden Hilfsorganisationen abwerben zu lassen, dürfte den Wunsch nach einer effektiveren Verwaltung untergraben.
Wenn Kongo 2007 neue Gelder verlangen wird, wird das mit demokratischer Willensbildung nichts zu tun haben. Alle Programme sind längst festgelegt. Im Juni 2006 finalisierte Kongos Planministerium nach mehrjähriger Arbeit ein Armutsbekämpfungsprogramm (PRSP), das einen verbindlichen Rahmen für die Wirtschaftspolitik der nächsten Jahre darstellt. Damit will Kongo wie andere sehr arme Länder der Welt in den Genuss eines umfassenden Schuldenerlasses kommen – Kongo hat derzeit 10,8 Milliarden Dollar Auslandsschulden und gab dieses Jahr 251,6 Millionen Dollar für den Schuldendienst aus.
Das Armutsbekämpfungsprogramm setzt auf massive Investitionen in Kongos zerstörte Infrastruktur sowie auf höhere Ausgaben für Soziales wie Gesundheit und Bildung. Hierfür sollen sich die Ausgaben bis 2008 real verdreifachen.
Das wäre eine Revolution. In den Kriegsjahren 1998–2003 starben im Kongo mehr als 3 Millionen Menschen daran, dass kriegsbedingt die medizinische Versorgung zusammengebrochen war und Malaria und Durchfallkrankheiten die Bevölkerung ganzer Landstriche dahinrafften. Vielerorts kommt auf 100.000 Einwohner ein Arzt. Nur 22 Prozent der 60 Millionen Kongolesen haben Zugang zu Trinkwasser, nur 6 Prozent zu Strom. 73 Prozent haben zu wenig zu essen. Krieg und Staatszerfall haben seelische Verwüstungen hinterlassen: 70 Prozent derjenigen, die in den Erhebungen, auf denen das Armutsbekämpfungsprogramm basiert, befragt wurden, bezeichneten sich als chronisch traurig, 63 Prozent litten an Albträumen, 53 Prozent an wiederkehrenden Ängsten.
Doch wer finanziert höhere Sozialausgaben? Kongos Wirtschaftsplaner setzen auf einen Aufschwung der Ausbeutung natürlicher Ressourcen: Mineralien und Tropenwälder. Diese sogenannten extraktiven Industrien sollen jährlich um 17 Prozent wachsen, prognostiziert das PRSP-Dokument. Der IWF geht davon aus, dass Kongos Exporterlöse zwischen 2005 und 2009 um 40 Prozent auf 2,9 Milliarden Dollar steigen werden, die Hälfte davon im Diamantenexport. Diamanten sind der einzige Bereich des Bergbaus, für den es bereits internationale Regelwerke zum Kampf gegen Schmuggel gibt.
Damit all das funktioniert, muss die nächste Regierung Kabila aufhören, intransparente und korrupte Verträge im Bergbau zu vergeben – genau davon lebte sie aber in der Vergangenheit, und ein seit Juni gültiges Moratorium auf staatliche Joint-Ventures wird nicht respektiert. Eine parlamentarische Untersuchungskommission, die 2004/05 sämtliche während des Krieges geschlossenen Verträge überprüfte, wurde vor den Wahlen stillschweigend beerdigt.
Es bahnen sich politische Konflikte an, denn die Ausführung von Wirtschaftsreformen wird in Zukunft nicht mehr dem Präsidenten obliegen, sondern dem Premierminister. Dieses Amt hatte es während des Friedensprozesses nicht gegeben. Weil Präsident Kabilas Partei PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Entwicklung) nur ein Viertel der Parlamentssitze hält, wird es nun an einen Koalitionspartner gehen müssen. Sollte der die Bergbaupfründen der PRRD antasten, sind Machtkämpfe zu erwarten. An Machtkonflikten zwischen Staatschef und Premier scheiterten schon in den 90er-Jahren die letzten Demokratisierungsversuche des Landes – das Ergebnis war Bürgerkrieg.