piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Profis von nebenan

Sie wollten schon immer „was mit Medien“ machen? Kein Problem: Die Nachrichtenagentur Reuters vermarktet nun gemeinsam mit dem Internetportalbetreiber Yahoo Amateurfotos. Hat das Zukunft?

VON MARTIN REICHERT

Foto-Amateuraufnahmen gehören zum Internet wie die Maus zum Pad – sie werden sogar schon lange professionell vermarktet: und zwar im Erotik-Bereich. Doch nun holt die britische Nachrichtenagentur Reuters – eine eherne Institution des Journalismus – zusammen mit dem US-Internetportalbetreiber Yahoo die Hobby-Knipser endgültig aus ihrer höhnisch verlachten Schmuddelecke. Seit gestern können BesitzerInnen von digitalen Kameras und Mobiltelefonen ihre Fotos und Videos über die Seiten beider Unternehmen hochladen und aller Wahrscheinlichkeit nach sogar Geld damit verdienen, wenn sämtliche Rechtsfragen geklärt sind. Die Fotos sollen redaktionell bewertet und professionell vertrieben werden.

„You Witness“ heißt das System, eine Art Blog für Knipser – und nicht umsonst in der Namensgebung eine Variante des Videofilmchen-Portals „YouTube“ – das bei Erfolg einen weiteren Meilenstein in der rasanten Siegesgeschichte des sogenannten Bürgerjournalismus bilden könnte: „Old media must embrace the amateur“, hatte Tom Glocer, Chef der Nachrichtenagentur Reuters, bereits anlässlich der diesjährigen „Online-Publishers-Association“ verlauten lassen – um die ganze Geschichte erzählen zu können, müsse man die Kompetenz der Amateure und der Profis bündeln. Wer sich dem verweigere, laufe Gefahr an Relevanz zu verlieren, der Akzent liegt also auf dem „müssen“.

Der bislang aus solider Kulturkritik errichtete Damm gegen fotografischen Bürgerjournalismus à la Bild-Leserreporter – zweifelhafte Qualität, Angst vor Fälschungen und vor allem ein Unbehagen an der flächendeckenden Paparazzisierung der Gesellschaft – droht nun unter dem Druck der herannahenden Bilderflut zu brechen. Ob erste Aufnahmen der Tsunami-Katastrophe, die abstürzende Concorde oder das zerschellte Kleinflugzeug vor dem Berliner Reichstag: Die bislang tendenziell verwackelten und falsch belichteten Aufnahmen von Hobbyfotografen haben schon seit langem einen Platz im kollektiven Gedächtnis, Bilder der Foto-Communities „Flickr.“ oder „View“ längst einen Platz in der deutschen Magazin-Landschaft. Auch der Stern gibt über www.augenzeuge.de einen allgemeinen Fotoauftrag an seine Leser raus, die bei Veröffentlichung mit einem Honorar von bis zu 1.000 Euro vergütet werden. Eine Kurzschulung zum Profifotografen gibt es gleich auf der Website: „Wenn Sie Augenzeuge eines Unfalls oder Verbrechens werden, ist es uns sehr wichtig, dass Sie die Gebote der Menschlichkeit nicht außer Acht lassen. Es ist Ihre erste Pflicht, Menschen in Not nach besten Kräften zu helfen.“

Noch einen Finger in die Wunden des ambitionierten Leserreporters legt folgender Hinweis bezüglich der selbst verfassten Bildbeschreibungen: „Angaben dazu, was der Fotograf sich bei dem Foto gedacht hat, und launige Kommentare sind in der journalistischen Vermarktung überflüssig und werden als störend empfunden.“ Ein strenger, aber durchaus wichtiger Hinweis für Knipser, die darauf hoffen, in Zukunft mehr Menschen zu erreichen als während der vom Freundeskreis längst gefürchteten heimischen Dia- bzw. Beamer-Präsentation.

Reuters ist nicht irgendwer und versucht sich mit „You Witness“ ganz einfach an die Spitze der Bewegung zu setzen, um von ihr zu profitieren. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) hat gestern an die Agentur appelliert, „den erreichten Qualitätsstandard bei den Pressefotos nicht aufs Spiel zu setzen“. Bernd Hartung, als professioneller Fotograf u. a. für die Hamburger Agentur Focus und die taz tätig, sagt hingegen lakonisch: „Ja, das ist die Zukunft.“ Und auch, dass er über die neue Konkurrenz angesichts des schwierig gewordenen Broterwerbs nicht erfreut ist. Konkrete Auswirkungen seien bislang allerdings noch nicht eingetreten – und es bleibt ihm die Hoffnung, dass man auch in Zukunft noch Fotografen braucht, die man zu einem Termin schicken kann: „Die Leserreporter müssen ja schließlich auch mal irgendwann arbeiten.“

Die wenigsten von ihnen machen im richtigen Leben „was mit Medien“, sondern plagen sich in vermeintlich weniger prestigeträchtigen Berufen. Allerdings entwickelt der moderne Angestellte in seiner Freizeit eine oft erstaunliche Medienkompetenz: Digitale Fotografie nebst Weiterbearbeitung ist ein Alltagsbegleiter geworden – inklusive niedrigschwelliger Schüsse aus der Hüfte mittels Foto-Handy: einfach unter der Toilettentüre durchhalten, wenn Paris Hilton zufällig in der Kabine nebenan sitzt. Im Gegensatz zu Profis schläft der Leserreporter nie. Und ist überall zugleich.