Annie Maybe

SEX Annie, hat Joshua gesagt, bevor ich mit dir tun kann, was ich möchte, brauchen wir neue Namen dafür. Also suchen sie neues Vokabular

■ Stationen: Uebel, Jahrgang 1969, ist Schriftstellerin, Journalistin, Literaturveranstalterin, Poetry-Slam-MC, Exverlegerin und Illustratorin. Für den bislang unveröffentlichten Roman „Lucky Luke raucht nicht mehr“ erhielt sie 2003 den Hamburger Literaturförderpreis, 2005 erschien der Roman „Horror Vacui“, 2009 „Die Wahrheit über Frankie“. Der hier abgedruckte Text ist ein Auszug ihres neuen Romans, der 2011 bei C. H. Beck erscheint. Tina Uebel lebt auf der Reeperbahn in Hamburg- St. Pauli.

■ Silvester: „Wo feiern Sie?“ – „In einem Haus am See.“ Foto: Sebastian Willnow/ddp

VON TINA UEBEL

Joshua und Annie Maybe ficken. Schlafen miteinander. Lieben sich, haben Sex. Poppen. Erkennen sich im biblischen Sinne. Was für Scheißphrasen, denkt Joshua, der sich mindestens so unbeholfen vorkommt wie die Geschlechtsverkehrformulierungen, die ihm allesamt nicht passen. Es ist sein erstes Mal, Annie Maybes nicht, wenn er das jetzt richtig verstanden hat, es ist sehr schwer, Annie Maybe auf irgendwas festzunageln. Sie überhaupt zu nageln ist auch nicht ganz einfach, Joshua will nicht zu früh kommen, kommen – wohin eigentlich, wer hat das jetzt wieder erfunden, das Wort, ejakulieren, gynäkologischer Aufklärungsunterrichtsterminus, den Höhepunkt erreichen, klingt nach Reinhold Messner, der erreicht den Höhepunkt ohne Flaschensauerstoff, abspritzen, das ist das, was sie damals mit seinem Collie getan haben, als der HD kriegte.

Wie soll man sich auf etwas konzentrieren, das man noch nicht mal vernünftig benennen kann, denkt Joshua und kommt zu früh. Schatz, ich komm heut etwas früher. Ach, scheiß der Hund drauf. Joshua ist benommen. Annie Maybe guckt abwesend mit heute besonders regnerischen Augen in den blauen Himmel. Von Ferne das Geräusch von Tennisbällen auf Tennisschlägern, poppend: popp-popp. Joshua muss erst mal den neuen Dateninput in seiner Physiologie sortieren, ist schon anders als wichsen. Annie Maybe hat ihm keinen Orgasmus vorgespielt, das ist vielleicht ein bisschen kränkend, sie, die jedem und allen immerzu und überall etwas vorspielt, hätte ja mal einen ausgeben können, andererseits, mit ihm ist sie eben Annie Maybe, und Annie Maybe spielt zwar immer, aber nichts vor.

Apropos Vorspiel, Joshua sorgt sich auch um sein Vorspiel, mit dem es ebenfalls gehapert haben mag, theoretisch beherrscht er das Spiel mit dem Vorspiel, praktisch ist es schwierig, Annie Maybe anzufassen, so anzufassen, da anzufassen, wo eigentlich, eine Muschi fasst man nicht an, der öffnet man eine Dose Whiskas, eine Fotze ist das, was Joshuas Klasse Biologieunterricht gibt, eine Scheide haben nur fünfjährige Mädchen und eine Möse nur Playmates, und wer sich dazu verstiege, in eine Vagina zu ejakulieren, wird umgehend im Deutschen Hygienemuseum ausgestellt. Immerhin hat er einen Schwanz, der Schwanz heißt, unter dem Namen kennt er ihn, wenigstens an dieser Front keine Verwirrung. Sein Schwanz, der gute alte, hängt schlapp im ungewohnten Kondom, wer sich das ausgedacht hat, ist auch kein Freund von Sex gewesen, Joshua hat trotzdem selbstlos an eines gedacht, von Annie Maybe gab es auf seine zögerliche Nachfrage nur Indifferentes zu hören, ist doch egal, sagte Annie Maybe, nein, dachte Joshua, ist es nicht, er will Annie Maybe nicht in Scheiße reinreiten, nicht er auch noch. Mehr als zehn Minuten hat Joshua nicht durchgehalten, wenn überhaupt, wäre er doch nur cooler, wäre er doch nur ein härterer Hund, zumindest Teile von ihm, aber andererseits, es ist Annie Maybe, und es ist vielleicht okay.

Er atmet schwer und spielt einhändig eine kleine Etüde auf den Rippenbögen seiner Captain Janeway, seiner höheren Tochter, seiner Prinzessin Kaputt, seiner Miss Personality, seiner Hungerkünstlerin, seiner Hautschottin, seiner Maibiene, seinem Regenaugengirl, Annie Maybe. Popp-popp, popp-popp, hört man die Borg, die heute Tennis spielen. Annie Maybe, sagt er, ich bin ein beschissener Liebhaber, und Annie Maybe lacht. Maybe, sagt sie, und er lacht. Maybe I will be, sagt Joshua, better and netter and thrill thee, praise thee and fill thee, tease thee and please thee. Maybe I will be. Maybe you will be, sagt Annie Maybe, or lay me and kill me. Sie kichern, dann lachen sie, dann schütten sie sich einfach aus mit einem großen Haufen ganz überbordend langem Gelächter über alles, einfach alles, nur so ohne Grund.

Dann tun sie das, was sich so doof anhört, wenn man’s sagt, noch mal, und Joshua kann auch nicht länger als in der ersten Runde, aber weiß Gott, besser als Tennisspielen mit den Borg ist es allemal.

Wenn ich Königin wäre oder Gott oder Hitler, sagt Annie Maybe verträumt, hat die Augen geschlossen der Sonne wegen und streichelt abwesend seinen Poppenbüttel, ich würde gar nichts ändern, ich würde nur jede Woche einen von, ich weiß nicht, einen von fünfzig vielleicht umbringen lassen. Nach einem Lotterieprinzip, das ist fair, und niemand kann wissen, ob es ihn trifft oder einen anderen und wen. Einen von fünfzig, das ist doch gut, oder?

Joshua überlegt. Er ist, zugegeben, ein bisschen abgelenkt. Ich denke schon, sagt er, eine Chance von eins zu fünfzig, das ist genau richtig. Ja, nicht wahr, eins zu hundert, das wird zu abstrakt. Nee, Joshua rekelt sich wohlig, eins zu fünfzig, das ist niedrig genug, um Hoffnung, und hoch genug, um Angst zu haben. Ja, sagt Annie Maybe, Angst, immer. Aber nicht genug, um etwas zu ändern, mich zu stürzen, weil, das wollte ich ja nicht. Nein, klar, natürlich nicht, sagt Joshua, der auf eine Ausnahmeregelung hofft. Die Tennisplatzgeräusche der Borg füllen das Schweigen, Annie Maybe ist eigentlich gar nicht hier, sie spielt Tennis dort drüben, dahin hat ihre Mutter sie gefahren, dort wird sie wieder abgeholt, nach eineinhalb Stunden, sie haben, schätzt Joshua, vielleicht noch eine Stunde, er wird besser.

Es dauert länger. Sie haben dem Namen gegeben. Annie Maybe, hat Joshua gesagt, bevor ich mit dir das tun kann, was ich möchte, brauchen wir ein vernünftiges Vokabular dafür. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, sagte Annie Maybe; der Traum der Vernunft, sagte Joshua, sieht mal besser zu, dass er Worte gebiert. Wie, fragte er, nennst du’s denn; ich rede nicht damit, sagte Annie Maybe, mal ehrlich, das käme doch komisch, oder? So wie die irren Alten, die durch die Horst laufen und mit sich selbst reden. Dann müssen wir was erfinden, sagte Joshua, denn sie müssen sich ja immer und alles erfinden, es gibt ja nichts sonst, und am Anfang war immer das Wort. Und hat dann einen Haufen Komplikationen nach sich gezogen. Ist bekannt. Sie könnten, hat Joshua gedacht, sich etwas Poetisches erfinden, das mit den Vororten war Annie Maybes Idee.

Sie war gut, es besteht immer die Gefahr, dass man zu putzig werden könnte. Zu weich. Dann hat man verloren. Annie Maybe ist nicht weich, sie ist ganz aus Knochen, es ist hart, sie ist so wenig, obwohl sie kaum kleiner ist als Joshua. Sie ist eigentlich gar nicht hier. Vielleicht ist sie Tennis spielen. Oder ganz woanders. Lass uns, sagte Annie Maybe, die Namen der Walddörfer nehmen, diese ganze beschissene Gegend, all diese beschissenen Namen, wir nehmen sie ihnen einfach weg.

Sie haben ihr Bestes getan. Poppenbüttel war naheliegend, zu naheliegend, wie Joshua fand, aber Annie Maybe hat darauf bestanden, und so streichelt sie eben jetzt seinen Poppenbüttel. Reziprok nisten zwei von Joshuas Fingern in ihrem Sasel, Scheißstadtteil aber schönes Wort und ganz warm und geschmeidig, hat man seine Finger darin. Auf den Großhansdorf konnte man sich einigen, Ständer, Latte, wir sind doch hier nicht auf dem Bau, Erektion gar, nein danke, darauf ließ es sich verzichten.

„Ein Microsoft ist, natürlich, ein Poppenbüttel, der nicht großhansdorf wird, was mal vorkommt“

Ein bisschen albern, andererseits, wer Großhansdorf mal gesehen hat, sollte froh sein, dass zumindest dessen Name endlich für irgendwas gut ist. Ihre Brüste, Titten, Möpse, wuff, hat Annie Maybe Lemsahl-Mellingstedt benannt, was Joshua obszön fand, aber es ließ sich nicht darüber verhandeln mit Annie Maybe, die sie wahrscheinlich hasst, sowohl Lemsahl als auch Mellingstedt, die linke heißt Lemsahl, die rechte Mellingstedt, sie sind eigentlich, findet Joshua, zu klein und nicht vorhanden, um sie zu hassen, aber was schon hasst Annie Maybe nicht. Insgeheim nennt er sie lieber May und Bee, die linke May, die rechte Bee. Er fasst sie gern an, eine Andeutung von May/Bees an einer Andeutung von Mädchen namens Annie Maybe.

Danach wurde es eng: Meiendorf, Wellingsbüttel, Hoisbüttel, Ahrensburg, Duvenstedt – wem sollte dazu etwas einfallen. Noch nicht mal dafür taugt die Gegend hier was. Joshua hat Automarken vorgeschlagen, auch das nehmen wir ihnen weg, und wenn es nicht reicht, machen wir Klamottenlabels und Markennamen. So machen wir das, sagte Annie Maybe, und seither heißt ihre Klitoris, ihr Kitzler – niemand würde auch nur diese Wörter mit Gummihandschuhen anfassen, geschweige denn – Mercedes, nicht ausgesprochen wie der Benz, ausgesprochen wie der französische Frauenname, wie die Geliebte des Grafen von Monte Christo, aristokratisch. Es war seine Idee, ihren laschen Renault-Clio-Vorschlag hat er abgebügelt, so weit kommt’s noch.

Sein Orgasmus heißt Hermès, wie der Herrenduft, der ihre Nike, wie die Göttin des Sieges. Oralverkehr, dafür kriegte man Punkte in Flensburg, ist Givenchy, bloß weil es so weich klingt und französisch und nach give, ihre Idee. Ihre gemeinsame Ecke hier, hinter dem Tennisplatz, dieses kleine, unentdeckte, unokkupierte Stück Wildwuchs, wie er überall in den Walddörfern zu finden ist, wenn man nur guckt, denn hier guckt ja keiner und schert sich niemand, ist natürlich das Lagerfeld. IBM steht für Ich Berühr Mich, selbsterklärend, und Joshua hätte so was nie getan vor ihren Augen, hätte es nicht ein Wort dafür gegeben.

Ein Ford ist ein frühzeitiger Samenerguss, der Joshua weniger ärgert, seit er so heißt, ein Microsoft ist, natürlich, ein Poppenbütte, der nicht großhansdorf wird, was mal vorkommt, man nennt ihn übrigens auch Calvin Klein. Ein Hilfinger ist, wenn sie seinem Microsoft manuell auf die Sprünge hilft, ein Swatch ein Stellungswechsel. Ein Duracell ist ein langes, ein Pepsi ein kurzes Wolkenreiten, ein Wolkenreiten ist ein Geschlechtsverkehr. Dafür fand sich kein Wort.

Vielleicht hätte sich auch Annie Maybe nie gefunden, hätte er ihr nicht ihren Namen gegeben. Den Zauberspruch, der sie bannt und verweilen lässt, sie, die gar nicht hier ist, das Mädchen mit dem süßen Sasel und den verhangenen Augen und dem Rippenklavier unter Lemsahl und Mellingstedt, die sich vorhandener anfühlt, legt man sich an sie heran, an Annie Maybe die Karierte, die fröstelt unter dem bedeckten Himmel und sich eine porige Gänsehaut wachsen lässt, Annie Maybe und alles andere ist Adidas, denn das, das Adidas, ist ein Akronym: All Das Ist Doch Alles Scheiße. Woran man nicht denkt, weil sie zu schade ist, die knappe Stunde, die ihnen noch bleibt.