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Archiv-Artikel

Angst und Abscheu in Ingolstadt

RECHERCHE Der unheimliche Trip von Jörg Holz und Thomas Zaunmüller ins Herz der Deutschen … Auf der Jagd nach Herrn Faber

Dirk Laucke

■ Stationen: Laucke, 1982 in Sachsen geboren, ist Dramatiker. Er studierte Szenisches Schreiben an der UdK in Berlin. Für sein Stück „alter ford escort dunkelblau“ erhielt er den Kleist-Förderpreis, wurde von Theater heute zum Nachwuchsautor des Jahres gewählt und zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Zuletzt schrieb er das Stück „Start- und Landebahn“ für die Städtischen Bühnen Osnabrück. Der Autor recherchiert gerade für das Theaterstück „Angst und Abscheu in der BRD“, das im Jahr 2011 im Ringlokschuppen Mülheim (Ruhr)/Theater Oberhausen Premiere feiern wird. Laucke lebt in Berlin. Foto: David Hecker/ddp

VON DIRK LAUCKE

Die Sache ist mit ein paar Mausklicks klar. Die Reportage der Sun gibt es auf YouTube. Darin erscheint kurz das Klingelschild von Faber. Pause. Daneben und darüber die Namen zweier Nachbarn. Beide Namen im Ingolstädter Telefonbuch eingeben (ihn selbst gibt es natürlich nicht, sonst könnte man sich Schritt eins sparen). Wo den beiden Nachnamen dieselbe Adresse zugeordnet ist, haben wir ihn – Klaas Carel Faber, Platz Nummer fünf der meistgesuchten NS-Verbrecher auf der Liste des Simon Wiesenthal Center, seit 50 Jahren wohnhaft in Ingolstadt.

Am Berliner ZOB tritt der Umfang des informellen Sektors menschlicher Arbeit ein wenig deutlicher zu Tage als sonst. Ein junger Typ steht mit seinen osteuropäischen Kollegen am Tresen und starrt auf die belegten Brötchen. Sein Vorarbeiter scheint zu fragen, was er haben will. Er kriegt ein paar Kekse und setzt sich in den Bus nach – weiß ich nicht. Kollege Zaunmüller verspätet sich fast, aber kein Problem, das gehört zum Image. Wir erhalten unsere Gepäckmarken; die Frau mit dem harten Akzent nimmt unsere Tickets entgegen und erklärt wenig später über die Bordsprechanlage die Möglichkeiten der Speisewahl und die Gefahren der Toilettenbenutzung. Ich blättere in demografischen Studien zu Mitgliedern der NS-Institutionen (die Mehrheit der SS-Angehörigen kommt aus der Akademikerschicht), Kollege Zaunmüller in Adornos „Studien zum autoritären Charakter.“ – Gute Überleitung für unseren ersten Halt: „Personalausweis, bitte.“ Die Polizisten in Hof scheinen einen Riecher für unsere Recherche und haltende Linienbusse zu haben. Keine zwanzig Sekunden aus dem Bus, kontrollieren sie die Reisenden. Wofür das denn sei. „Schleier-Fahndung.“ – „Schleyer ist tot.“ – „Witzig.“ Unterhaltung beendet. Der Busfahrer und sein junger Kopilot klären auf, dass hier im unheimlich Ostblock-grenznahen Bayern allerhand Illegales unterwegs sei. „Menschen?“ – „Auch.“ Und der Kopilot verrät ein paar Tricks, im Falle man wollte beispielsweise „größere Mengen Kokain“ durch Deutschland transportieren und käme in eine Kontrolle wie diese: „Einfach die Gepäckmarke essen, dann kann das Gepäckstück mit dem Koks niemandem zugeordnet werden und der Busfahrer haftet.“ Auch wenn das nicht sehr professionell klingt oder gar zur Nachahmung einlädt, die Essenz ist klar: Ein Hoch auf unsern Busfahrer!

Irgendeine Saison schickt am Ingolstädter ZOB ihre Arbeiter nach Hause, während ein paar Schritte weiter sich junge Personen bajuwarischer Herkunft in zünftigen Lederhosen und frechen Dirndln auf dem Weg in die Hauptstadt der Bewegung machen, das Oktoberfest schon am Bahnsteig begießen, während alte und mittelalterliche Herren am Stammtisch feinsinnig über das Weltgeschehen sinnieren (Wir und die Wirtschaft, Wir und der Krieg, Wir und der Ami, der Tommi, der Jude), und während die Thor-Steinar-Brigade wie immer zu Hause bleibt, vor dem Bahnhof steht und sich Würschtln in die Fresse schiebt … Ingolstadt ist ein Ort, an dem ich nicht mal sterben möchte.

Ingolstadt hat Audi. Ingolstadt hat Herrn Faber und Audi. Nach einer Odyssee über den Autounionsring (Autounion, schon wieder diese Nazis …) fanden wir unsere Herberge, die man uns als einzige Alternative während des restlos überfüllten „O’zoapft is“-Wahns anbot, vor der man uns aber auch warnte: „Ich muss dazusagen, der Besitzer ist ein Türke“, sagte der Mann am Telefon. – „Ja, und?“ – „Falls Sie damit ein Problem haben.“ – „Sollte ich damit ein Problem haben?“ – „Nein, nein, ich sag’s nur. Nicht, dass Sie sich nachher beschweren: Wo hat der mich denn hingeschickt?“

Im Zimmer unserer nun hervorgehoben türkisch geführten Herberge, mitten im Audi-Werk, bereiteten Kollege Zaunmüller und ich uns auf die Interviews vor, Fragen für die Vox populi. Und was zum Teufel fragen wir den nachgewiesenen Nazitäter Klaas Carel Faber, der als geborener Niederländer laut Führererlass die deutsche Staatsbürgerschaft mit Eintritt in die Waffen-SS erwarb?

Eine Stunde später stehen wir vor seinem Fenster und rätseln, ob das blaue Licht wohl ein Fernseher ist oder ein Aquarium? Wenn es ein Aquarium ist, und Herr Faber starrt gern mal auf die Fische darin, sieht er wohl irgendeine Referenz zum KZ Westerbork, in dem er arbeitete? – „Du kannst doch nicht artgerechte Tierhaltung mit einem KZ vergleichen!“, unterbricht mich Zaunmüller. „Das geht mir ja schon bei diesen ganzen Veganern und Tierschutzleuten auf den Keks!“ – „Ich hab nur gedacht.“ – „Du hast nicht gedacht.“ – „Ich hab assoziiert.“ – „Was hast du denn assoziiert? Fische – gefangen – Aquarium – Konzentrationslager – Faber – Wächter – der Guppy heißt Anne Frank?!“ – „Ja, vielleicht …“ – „Vielleicht, vielleicht?!“ – „Wäre krass, oder …“ – „Es ist ein Fernseher.“ – „Und was kuckt er?“ – „Volksmusik.“ – „Was ist, wenn er Heinz Rühmann kuckt?“

Und wir hielten die Klappe. Einen Film mit Heinz Rühmann hat Klaas Faber 1952 zur Flucht verholfen. Während der Vorführung kletterte Faber mit weiteren NS-Verbrechern durch ein Fenster im Kohlenkeller des Kinos und wurde an der deutschen Grenze von einem alten Kameraden, der seinen Dienst bei der deutschen Grenzpolizei fortsetzte, begrüßt. Der Film hieß „Der Himmel auf Erden.“ Wir gehen nahe ans Fenster von dem Nazi-Pisser, ich halte das Mikro dran und muss leider sagen: „Er kuckt Volksmusik.“

Tag 2

„Jungs, das is was. Das gibt et nich … Wisst ihr was? Ihr kommt jetzt mit zu mir nach Hause. Was wollt ihr? Ich hab Kaffee, ich hab Bier … Was hat der gemacht?“

„Er hat sich freiwillig gemeldet, als die Wehrmacht in den Niederlanden einmarschiert ist, und hat zusammen mit seinem Bruder im Rahmen der Aktion ‚Silbertanne‘ mindestens elf Menschen gekillt. Er hat an der Tür von diesen Leuten geklingelt und hat gefragt: Sind Sie der und der? – Ja. – Mitkommen. Irgendwo haben sie die Leute dann erschossen.“

„Nee.“

„Doch. Außerdem hat Herr Faber im KZ Westerbork gedient, dem Durchgangslager, wo auch Anne Frank kurze Zeit interniert war.“

„Aber das ist ja 60, 65 Jahre her. Der muss ja schon 80 Jahre alt sein, der Mann.“

„88.“

„88!“

„Und der wohnt hier?“

Klaas Carel Faber, Platz fünf der meistgesuchten NS- Verbrecher auf der Liste des Simon Wiesenthal Center, seit 50 Jahren wohn- haft in Ingolstadt

„Da drüben.“

„Das gibtet nich. Ich wohne direkt gegenüber!“

Winnie ist so ziemlich der Einzige, den die Konfrontation mit den Fakten über Herrn Faber auch nur ansatzweise aus den Socken haut. Vox populi: „Ey, und wenn hier der Bundeskanzler wohnen würde, das wäre mir doch egal.“ Darauf angesprochen, dass 150 israelische Anwälte ihre Regierung gedrängt haben, ihrerseits Druck auf die Bundesrepublik auszuüben, um den gesuchten SS-Mann an die Niederlande auszuliefern: „Die Israelis sollen sich um ihren Scheiß kümmern! Die tun sich immer bei uns überall einmischen.“

„Wir wissen doch, wie die Juden sind. Geldgeil.“

„Ach, Sie meinen den alten Mann? Der wohnt doch da vorne, in dem blauen Block da vorn. Das sind ja Kriegszeiten gewesen. Der hat aber jetzt keine Leute umgebracht.“ – „Herr Faber hat sich freiwillig gemeldet zur Waffen-SS.“ – „Wie viele haben sich denn freiwillig gemeldet? Wie viele, in der Kriegszeit?“ – „Wissen Sie, wer Anne Frank ist?“ – „Nein.“ – „Ja, das sind aber mehrere wie der gewesen. Was hätten die mit ihm gemacht, wenn er’s nicht gemacht hätte?“ – „Den find ich nicht als Mörder. Wie viele Leute haben im Krieg Menschen umgebracht. Wie viele haben die Weiber vergewaltigt? Die alten Leute vergewaltigt! Denen geht man nicht nach. Aber denen, die was angeschafft haben, denen geht man nach. Das ist genauso wie mit der Arbeit: Wer was anschafft, der muss es machen. Und wenn’s hundertmal falsch ist, dann werde ich verurteilt, weil ich’s machen musste.“ – „Ich wohne jetzt hier seit über 30 Jahren, und von dem Herrn Faber höre ich seit letztem Jahr erst was.“ – „Lassen Sie den Mann in Ruhe, der hat doch keinem was getan.“ – „NATÜRLICH, DER HAT ELF MENSCHEN UMGEBRACHT!“ – „Ja, und? Sind Sie die Justiz? Schleichen hier um das Haus rum … Lassen Sie der Justiz ihr Geschäft machen und lassen Sie den Mann in Ruhe!“ – „DIE SCHEISSJUSTIZ MACHT ABER NICHTS!“ – „VIELLEICHT SIND WIR JA NUR DESWEGEN HIER, UM LEUTEN WIE IHNEN, BLOND UND BLAUÄUGIG, AUF DIE SCHLICHE ZU KOMMEN!“

Irgendwann reißt der Faden ab, die Kontrolle durch … Wir standen vor seiner Tür. Wir haben reingesehen, durch einen offenen Spalt im Namensschild. „Herr Faber, hier ist die Polizeiinspektion“, hat Winnie gesagt. „Moment, das können wir nicht machen.“ Wir haben ihn nicht gekriegt. Was hätten wir ihn auch fragen können? „Herr Faber, warum stellen Sie sich nicht?“ Wir haben ihn nicht gesprochen, aber genug gehört, um zu wissen: So schön wie hier kann es für Herrn Faber nirgends sein.