: Das Geschenk
von JÜRGEN BISCHOFF
Zugegeben, es war vielleicht wirklich nicht die beste Idee mit dem Geschenk für Klaus. Obwohl er ja eigentlich Eric heißt und nicht Klaus, aber aus Gründen, die jeder leicht verstehen wird, will er hier lieber Klaus heißen und nicht mit seinem richtigen Namen genannt sein.
Eric, also Klaus, lebt in einem Haus in Hamburg, wo niemand im eigentlichen Sinne Miete zahlt. Das also sozusagen besetzt ist. Und in den Kreisen, in denen Klaus seither verkehrt, ist es nicht üblich, sich Geschenke zu machen. Wenigstens keine Weihnachtsgeschenke. Weihnachten ist Totalkapitalismus, Terror für die Massen, also Konsumterror, und da hält man sich besser raus. Mit Terror will man nichts zu tun haben. Jedenfalls nicht mit Konsumterror.
Politisch ist das okay
Trotzdem haben sie diesmal alle zusammengelegt. Alex und Fritz und Mike, die in Wirklichkeit auch alle andere Namen haben und die normalerweise mit Klaus auf der Demo in der Kette stehen, untergehakt, Arm in Arm, wenn die Bullen kommen. Dann wanken sie nicht. Auch Klaus nicht.
Klaus wankt nur, wenn sie im Haus eine Fete haben, und es kommt eine Frau, die er nicht kennt. Dann bekommt er einen roten Kopf und rote Ohren. Politisch ist das für ihn ja okay, emotional nicht so.
Um genau zu sein, hat er nämlich schon mit Vielem Erfahrung. Mit Demos, mit Häuserbesetzen, mit Bullen. Nur mit Frauen hat er noch keine Erfahrung. Überhaupt keine. Irgendwie weiß er selbst nicht so genau, woran das liegt – irgendwie zu schüchtern, irgendwie ergab es sich nie. Und deshalb haben Alex und Fritz und Mike zusammengelegt. Sie wollen ihm mal etwas Richtiges schenken, was Praktisches. Wo doch gerade Weihnachten ist. Heiligabend sogar, und also quasi eine Gelegenheit.
„Willste reinkommen?“
Sie haben hundert Mark gesammelt. Für einen Besuch im Puff. Was bedeutet: Klaus darf rein, und sie zahlen dann.
Nach der Fete an Heiligabend sind sie also noch in die Herbertstraße. Klaus erscheint das in gewisser Weise als ein seltsames Geschenk. Klaus war noch nie in der Herbertstraße. Alex und Fritz und Mike auch nicht, aber Klaus ist ja von ihnen auch der Einzige, der keine Erfahrung mit Frauen hat. Und wo bitte, sollte man das ändern können, wenn nicht in der Herbertstraße?
Jetzt ist es kurz nach Mitternacht, die Temperatur knapp über null Grad, und es fällt statt weißen Weihnachtsschnees ein grauer Nieselregen, der frösteln macht. Von den schmucken Reihenhäuschen in der Herbertstraße ist nur eines erleuchtet. Es strahlt Wärme aus, ein bisschen Stall von Bethlehem. In den Fenstern hängen Weihnachtssterne, auf dem Glas schillert Kunstschnee aus der Spraydose. Und hinter der Scheibe sitzt Monique auf einem jener Kunstlederstühle, wie sie gern zur Möblierung von Besucherzimmern in Krankenhäusern verwendet werden. Sie hat ein Handtuch darüber gelegt, damit sie nicht festklebt, denn sie trägt nur einen knappen, weißen Tanga und einen BH, und jedes Mal, wenn draußen im Weihnachtsregen ein Mann vorm Schaufenster stehen bleibt, muss sie sich ein bisschen nach vorne beugen, um die kleine Klappe öffnen zu können. „Fröhliche Weihnachten“, sagt sie dann, „willste mal reinkommen?“, und von draußen weht ein kalter Luftzug herein. Wenn dann einer nach dem Preis fragt, sagt sie: „Halbe Stunde hundert Mark.“
Ein Plüschteddy wacht
Jetzt fragt Alex. Und Klaus steht daneben und versucht, ein bisschen männlich auszusehen. Als er das Haus betritt, plötzlich eingehüllt von dampfender Wärme, zögert er ein wenig. Und während er mit Monique die schmale Holztreppe nach oben steigt, sagt er: „Weißt Du, ich war ja noch nie in sowas.“ Monique wirft ihm einen kurzen Blick zu und sagt, das mache nichts, da sei er nicht der Erste und dann wollen wir jetzt mal.
Alex und Fritz und Mike stehen draußen auf der Herbertstraße und ziehen die Kragen ihrer Lederjacken etwas höher. Es nieselt immer noch, und sie haben versprochen zu warten. Denn natürlich wollen sie wissen, wie ihr Geschenk ankommt.
Klaus betritt das Zimmer, das Monique hier gemietet hat, findet ein großes Bett mit sauberem Laken, einen Spiegel, ein Waschbecken. In der Ecke wacht ein Plüschteddy, auf einem kleinen Tischchen steht eine Weihnachtskerze und eine kleine Schale mit Gebäck. Monique nimmt die hundert Mark. Dann kommt sie langsam auf Klaus zu, so nah, dass er ihr Parfüm riechen kann. „Leg dich hin“, sagt sie und deutet aufs Bett. „Wie heißt du überhaupt?“
Monique hat keine Chance
Sie beginnt mit der Arbeit. Klaus muss daran denken, wo er hier eigentlich gelandet ist. Weihnachtskerze. Plüschteddy. Gebäckschale. Ein Kleinbürgeridyll! Und mittendrin ausgerechnet er. Monique hat keine Chance.
Die halbe Stunde dauert für Klaus ziemlich genau siebeneinhalb Minuten. Als sie mit ihm die Treppe wieder herunterkommt, hat er einen roten Kopf: Aber immer noch keine Erfahrung mit Frauen. „Macht nichts“, sagt Monique zum Abschied, „kann jedem mal passieren. Vielleicht klappt‘s ja beim nächsten Mal.“
„Ja“, sagt Klaus. „Vielleicht.“
Und als er beim Heraustreten Alex und Fritz und Mike mit erwartungsvollen Gesichtern auf der Herbertstraße stehen sieht, beschließt er endgültig, Weihnachten in Zukunft ausfallen zu lassen. Dann muss man keine Geschenke machen. Was ihm aber viel wichtiger ist: Man kriegt auch keine.