: Intelligent steuern
Die Pkw-Maut in ihrer schrecklichsten Form wäre nur eine fette Einnahmequelle für mehr Straßenbau. Doch sie könnte auch das Auto zähmen und den Straßenverkehr lenken
Gespenster und Phantome sind manchmal verdammt lästig. Bundesverkehrsminister Tiefensee (SPD) kann die Diskussion um die Pkw-Maut noch so oft zur „Gespenster“- oder „Phantomdebatte“ erklären – er wird sie nicht mehr los. Seine in Kurzintervallen wiederholten Basta-Rufe sind eher der muntere Diskussionsauftakt als ihr Ende. Inhaltlich hat der Minister nicht viel mehr zu bieten als die ständige Plattitüde, dass die Autofahrer von Kfz- und Mineralölsteuern schon genug geschröpft würden und deshalb eine Pkw-Maut kein Thema sei.
Da haben die Mautbefürworter ein wenig mehr auf der Festplatte. Sie brauchen außerdem nur die Europakarte auf den Tisch zu legen: Immer mehr Länder entscheiden sich für das Pkw-Roadpricing, das auch von der EU befürwortet wird. Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Österreich, Dänemark, Ungarn, Polen, Tschechien: Die Gentlemen bitten immer öfter ins Kassenhäuschen, Deutschland wird regelrecht umzingelt von Mautsystemen. Die Mautgegner werden in Europa ganz schnell zur kleinen radikalen Minderheit. Man darf getrost wetten: Die Pkw-Maut wird kommen. Die entscheidende Frage ist also nicht mehr wann, sondern wie.
In ihrer schrecklichsten Form wäre die Pkw-Maut nichts anderes als eine zusätzliche fette Einnahmequelle, um noch mehr Straßenbau zu finanzieren. In ihrer schönsten, smaragdgrün schimmernden Ausgestaltung könnte sie tatsächlich ein sinnvolles ökologisches Instrument werden. Indem etwa das Autofahren in bestimmten Regionen mit sensibler Natur oder in stauträchtigen Verkehrszeiten teuer wird, könnte man lenkend eingreifen. Dass die Pkw-Maut gleichzeitig von den Bleifußindianern der CSU und von umweltbewussten Verkehrswissenschaftlern gefordert wird, zeigt schon: Die Spielräume der Ausgestaltung einer solchen Maut sind so breit wie das Nildelta.
Die einen wollen als Revanchefoul vor allem bei den Ausländern abkassieren und sich gleichzeitig Jahr für Jahr die Milliarden für Ausbau und Unterhaltung dessen sichern, was sie „Verkehrsinfrastruktur“ nennen – vor allem Autobahnen, Brücken und Straßen. Gleichzeitig wollen sie die Mineralölsteuer senken, damit der Autofahrer bloß nicht zusätzlich belastet wird. Ökologisch und verkehrspolitisch ist damit nichts gewonnen. Nur der Tanktourismus könnte eingedämmt werden.
Die anderen träumen von einer Pkw-Maut, die verkehrspolitische Gerechtigkeit schafft und das Automobil zähmt. Wer viel fährt, zahlt natürlich auch viel. Jeder gefahrene Kilometer taucht prompt auf der monatlichen Abrechnung auf, die genau wie die Telefonrechnung im Briefkasten liegen könnte. Bei einer intelligenten Maut müssten aber auch die schon ewig diskutierten „externen Kosten“ in die Straßengebühren eingerechnet werden. Die angebliche Melkkuh namens Autofahrer wälzt nämlich einen erheblichen Teil der Kosten auf die Allgemeinheit ab. Beispiel Abgase: Die Stinkefahne aus Millionen Auspuffrohren ist nicht nur Klimakiller, sie kratzt auch an Bauwerken, dringt in Lungen und Bronchien ein. Klima-, Gebäude- und Gesundheitsschäden sind die direkten Folgen, für die alle aufkommen müssen.
Umwelt-, soziale und gesundheitliche Folgen des Autoverkehrs sind zwar schwer zu berechnen – wie viel „kostet“ ein Krebstoter durch Dieselpartikel? –, das heißt aber nicht, dass man sie weiter ignorieren darf. Auch die Unfallkosten des Autoverkehrs werden nur zum Teil von den Kfz-Versicherungen gedeckt. Der Rest wird beim Gesundheitssystem abgeladen und belastet die Krankenkassen. Eine Pkw-Maut könnte die milliardenschwere Subventionierung des Autos abbauen. Theoretisch! Praktisch geht dies nur mit Hilfe der EU, weil Kratzer am heiligen Blechle in der Autorepublik Deutschland nicht durchsetzbar sind. Für Januar 2007 hat Brüssel eine neue „Wegekosten-Richtlinie“ angekündigt, in der die externen Kosten ein stärkeres Gewicht bekommen. Man darf auf die Restvernunft hoffen.
Wer die Pkw-Maut fordert, muss sagen, was er mit dem eingenommenen Geld anstellen will. Schon eine auf die Autobahn beschränkte Maut von, sagen wir, drei Cent je Kilometer würde 12 Milliarden Euro bringen. Echte Lenkungseffekte wären aber nur dann möglich, wenn diese Milliarden verkehrspolitisch frei verwendet werden dürfen, ohne dass sie direkt in die Infrastruktur zurückfließen. Genau dieser harte Asphaltkurs ist aber bisher die Realität in den Maut-Ländern und auch europäische Rechtslage. Die Bundesrepublik wird da kaum ausscheren: Da in den 70er und 80er Jahren bei uns ein heftiger Straßenbauboom tobte, drohen jetzt mit zeitlicher Verzögerung die dramatischen Folgekosten.
Schon die reine Unterhaltung des Straßennetzes ist kaum noch zu finanzieren und frisst die Milliardenbudgets. Gleichzeitig geht aber – weitgehend unbemerkt – der private Pkw-Verkehr langsam zurück, weil die Gesellschaft immer älter wird. Rentner fahren weniger und der hohe Benzinpreis zeigt Wirkung. Noch mehr Geld für Straßenbau ist vor diesem Hintergrund nicht zu rechtfertigen. Er nützt allein jenen Lkw-Kolonnen, die auch Tiefensee nach eigenem Glaubensbekenntnis auf die Schiene umleiten will.
Ein ganz anderes, brisantes Mitbringsel der Pkw-Maut ist die Privatisierung. Die Umstellung von der Steuer- auf die Nutzerfinanzierung durch Mautgebühren wird vor allem von Banken und Baulöwen gerne als Einstieg in einen Privatisierungsschub gesehen. Der frühere Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) dachte schon mal laut über den Komplettverkauf des deutschen Autobahnnetzes an Privatbetreiber nach, die dann für den Unterhalt zuständig wären und gleichzeitig die Gebühren kassierten. Eines muss in der Mautdebatte klar sein: Straßen sind öffentliche Räume und keine Cash-Cow für Banken und Konzerne.
Die Errichtungskosten eines elektronischen Mautsystems werden auf zwei bis drei Milliarden Euro geschätzt, dazu kommt der Verwaltungsaufwand beim Eintreiben der Gebühren. Bei einer satellitengestützten Abrechnung wie beim Lkw müssten Millionen Autos mit entsprechender Onboard-Elektronik oder – weniger aufwändig – mit Prepaid-Karten ausgerüstet werden. Die dritte Möglichkeit wäre eine einfache Autobahnvignette, mit der sich der Verkehr aber kaum lenken lässt. Die Vignette belohnt Vielfahrer. Motto: Wenn ich schon das Pickerl bezahlt habe, muss sich die Investition auch rentieren. Das erinnert an „All you can eat“, das regelmäßig in Fressorgien endet.
Man sieht an alldem, wie schwierig die Mautdebatte ist. Entscheidend sind letztlich nicht die Instrumente, sondern die verkehrspolitischen Ziele, die man anvisiert. Wer wirklich klima- und verkehrspolitisch umsteuern und eine zukunftsfähige Mobilität erreichen will, kann dazu die Pkw-Maut nutzen. Eine höhere Mineralölsteuer gepaart mit CO2-bezogener Kfz-Steuer entwickelt aber ebenso ihren ökologischen Charme.
MANFRED KRIENER