Respekt als Grundprinzip: KOMMENTAR VON CHRISTIAN FÜLLER
Die Gesellschaft bebt. Wie Seismografen registrieren die Soziologen kleine und größere Verwerfungen im Innern der Nation, die als Vorurteile sichtbar werden. Besonders deutlich wird das in sich entleerenden Regionen, und besonders häufig ist die Atmosphäre in Schulen mitverantwortlich. Abwertung verwandelt sich dort in Gewalt. Nicht gleich als Amoklauf. Sehr wohl aber im bullying, wie das heute heißt.
Nein, eine Stunde mehr Demokratie reicht dagegen nicht. Wer glaubt, er könne mit ein bisschen mehr Werteerziehung aus aggressiven Kerlen proppere Staatsbürger machen, der träumt. Geht ein Lehrer mit dem Grundgesetz unterm Arm, sagen wir, in eine Rütli-Schule oder in eine der kleinen Nazihochburgen, die es mancherorts gibt, dann beschädigt er beides: die Werte, die er vermitteln will, und den Glauben der Schüler, ernst genommen zu werden. Das ist die verzwickte Situation. Was also tun?
Die Antwort heißt, in den Schulen Respekt als Grundprinzip zu etablieren. Das ist nicht zu erreichen durch simple Fächerrochaden auf dem Stundenplan. Eine Kultur der Anerkennung muss sich erst entwickeln. Denn die Schule ist ja, genau betrachtet, ein Ort der Nichtanerkennung. Die gröbste Missachtung, die jungen Menschen widerfahren kann, ist der Satz: Du gehörst hier nicht her, raus hier! Diesen Satz hören 250.000 Schüler – jedes Jahr. Genau darauf fußt die Schule. Dass sie sortiert, das heißt, dass sie Noten gibt, Zeugnisse verteilt, sitzen lässt, abschult. Dass sie, nehmen wir das böse Wort: selektiert.
Bemerkenswert ist, dass die Schule diesen Vorwurf inzwischen von drei Seiten hört: Viele protestieren von innen dagegen, dass Demütigung ihr Alltag sei. Der internationale Blick zeigte mit Pisa das Gleiche: Es gibt zu viele Schulverlierer. Nun kommen von außen die Soziologen – und warnen vor den Folgen für die Gesellschaft.
Brauchen wir noch mehr Expertise? Nein. Es ist an der Zeit, dass wir die Schulen als Orte der Demokratie wiederherstellen. Das wären freilich ganz andere Schulen als die, die wir kennen. In ihr müssten Schüler erleben, dass es auf sie ankommt: dass der Lehrer, sprich die Gesellschaft sie voll respektiert. Und sie nicht loswerden will.
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