Der Streit über die Gesundheitsreform nährt Politikverdrossenheit
: Gefährliches Staatstheater

Das war wieder ein Wochenende der Scharfmacher. Mit großem Tamtam erklärte Hubertus Heil, die Unionsländer sabotierten die große Koalition. Prompt lässt Markus Söder die Muskeln spielen und sagt, Gesundheitsministerin Schmidt füge der Koalition schweren Schaden zu. Soll man sich darüber aufregen? Ist doch das übliche Politiktheater. Doch immerhin geht es um die Gesundheitsreform. Kurz bevor es in Kraft tritt, wird das angeblich zentrale Projekt der großen Koalition für gescheitert erklärt: ein ermüdendes Spielchen.

Verbal überhöhen, öffentlich zuspitzen, Verhandlungsmasse schaffen – das sind ganz normale Vorgehensweisen bei jedem Aushandeln. Das macht jeder in diesen Tagen so, etwa wenn er Rabatt für seine Weihnachtseinkäufe herauszuschlagen versucht. Also muss es auch der Politik erlaubt sein, keine Frage. Nur ist der Unterschied zwischen dem üblichen Feilschen und dem in der vermeintlich großen Politik offensichtlich: Die Politik hat jedes Maß verloren. In der Sprache wie in den Dimensionen dessen, was zur Verhandlung steht.

Es sind ja keine Details, um die es in diesen Tagen geht: Nein, es sind die ganz großen Staatsreformen – Mammutvorhaben, die angeblich über den Untergang des (Abend-)Landes entscheiden. Bei der Neuordnung des Föderalismus wie bei der Gesundheitsreform aber sind die Diskrepanzen gigantisch. Im Propagandasprech werden sie als „überlebenswichtig“ bezeichnet. Doch hört man die Beteiligten bei ausgeschaltetem Mikrofon Klartext reden, ist das Urteil ganz anders: „Schwachsinnig“, „unbezahlbar“, „sinnlos“ – so lauten etwa die Einschätzungen seriöser Fachleute über die Gesundheitsreform.

Diese politische Entwicklung ist beunruhigend. Man stellt fest, dass über grundlegende Fragen wie die Gesundheitsversorgung der Menschen Deals geschlossen werden, an die keiner glaubt. Und dass als Marktschreier immer öfter nicht die Sekretäre, sondern die Chefs der Parteien selbst agieren. Wenn dabei keine klugen Ergebnisse herauskommen, kann das zu einem gefährlichen Spiel werden – für die Demokratie. CHRISTIAN FÜLLER