Wer verschmutzt, zahlt

Von Michael Streck

Klimaschutz ist heute Big Business. Unternehmen pumpen weltweit Milliarden in Projekte, die helfen, weniger Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen. Eine schnell wachsende „Klimabranche“ von Beratungsfirmen, Investmentfonds, Börsen und Projektentwicklern ist entstanden. Der Handel mit Verschmutzungsrechten, das vielleicht größte umweltpolitische Experiment aller Zeiten, hat eine bislang nicht gekannte Dynamik im Umweltschutz entfaltet. „Ein Paradigmenwechsel: Klimaschutz kostet nicht nur, sondern bringt Geld“, sagt Stefan Thomas vom Wuppertal Institut.

Wer verschmutzt, muss zahlen – das ist eine alte Idee der Umweltökonomie. Knappen, bislang freien Umweltgütern wird ein Preis gegeben, um sie besser zu schonen und zu schützen. Nur wenn zum Beispiel Wasser oder Luft etwas kosten, und damit zu wirtschaftlichen Gütern werden, gibt es einen Anreiz, mit ihnen besser zu haushalten. Als ein wichtiges Instrument gilt dabei der Handel mit Emissionszertifikaten.

Dieser Handel ist eine amerikanische Erfindung. Sein Grundprinzip: Cap and trade. Der Staat legt eine Obergrenze für Emissionen fest und überlässt den Unternehmen, wie sie diese erreichen. In den Neunzigerjahren eingeführt, half es in den USA den Ausstoß von Schwefeloxiden drastisch zu verringern. Im Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz wurde der Emissionshandel eingebaut, um Ländern mehr Handlungsspielraum zu geben, Treibhausgasemissionen zu senken – lange gegen den Widerstand der stärker ordnungsrechtlich denkenden Europäer und auf Druck der Amerikaner, die dann am Ende den Vertrag ironischerweise ablehnten.

Verschmutzungsrechte

Um die Kyoto-Verpflichtungen zu erreichen, schufen die 25 EU-Staaten das Europäische Emissionshandelssystem. Es startete Anfang 2005 und gilt für energieintensive Industrieanlagen wie Stromerzeuger, Stahl- und Zementwerke. Sie benötigen seitdem für jede emittierte Tonne CO2 jährlich eine Lizenz. Herr der Verschmutzungsrechte in Deutschland ist Jürgen Landgrebe. Er leitet im Umweltbundesamt die Abteilung Zuteilung der Deutschen Emissionshandelsstelle. Und bestimmt, wie viel CO2-Lizenzen Firmen hierzulande erhalten.

Dazu musste sein Team aus 75 Mitarbeitern ein kompliziertes Register aufbauen: Sie prüfen, welche Industrieanlagen unter das Handelssystem fallen und wie viel Treibhausgase sie ausstoßen. Ein sogenannter Nationaler Allokationsplan legt dann fest, wie viel CO2 Deutschland jährlich emittieren darf, die Menge wird auf die einzelnen Betriebe verteilt. Die Unternehmen können dann selbst entscheiden, ob sie Emissionen durch technische Verbesserungen verringern oder über den Emissionshandel Lizenzen ankaufen. Vermeiden also, wo es billiger ist.

Bei einem Preis von derzeit 11 Euro an den Energiebörsen lohnt der Handel. Denn wer mehr verbraucht als zugeteilt, muss Strafe zahlen: 40 Euro pro mehr ausgestoßener Tonne Kohlendioxid bis 2008, danach sogar 100 Euro.

Der Handel funktioniert jedoch nur, wenn der Druck groß genug ist. Sprich, die erlaubten Emissionen knapp sind. Ursprünglich hatte das Umweltministerium unter dem Grünen Jürgen Trittin (um sich nicht nur auf dem Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie auszuruhen) eine Absenkung der deutschen CO2-Emissionen auf 480 Millionen Tonnen vorgesehen. Doch dieses Vorhaben vereitelte 2004 Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, SPD-Mann und Interessenvertreter der Energieindustrie, und genehmigte 491 Millionen Tonnen.

Zudem erhielten Unternehmen Sonderrechte. So reklamierte Vattenfall, bereits genug in moderne Kraftwerksanlagen investiert zu haben, und setzte durch, dass diese von Reduktionsverpflichtungen ausgenommen sind. Die Lizenzen werden überdies kostenlos zugeteilt, obwohl Fachleute wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen zumindest eine teilweise Auktionierung der Emissionsrechte anmahnen. Solch ein Verfahren sei transparenter und demokratischer als die politisch-ideologischen Kungelrunden zwischen Ministern und Lobbyisten, meint der Ökonom Axel Ockenfels vom Energiewirtschaftlichen Institut der Universität Köln. Und es spült obendrein Geld in die Staatskasse.

„Anspruchsvollere Ziele“

Auch Trittins Nachfolger Sigmar Gabriel (SPD) beugte sich dem Druck der Industrielobby. 495 Millionen Tonnen plante er bis 2012 zu vergeben, auch werden die Zertifikate wieder umsonst verteilt. Dabei pusteten die deutschen Firmen 2005 überhaupt nur noch 474 Millionen Tonnen CO2 in die Luft. Landgrebe ist daher unzufrieden mit der Politik. „Wir brauchen anspruchsvollere Ziele.“ So fordert die EU-Kommission von der Bundesregierung, bis 2012 Zertifikate für maximal 453 Millionen Tonnen zu verteilen. Gabriel peilt inzwischen eine Obergrenze von 465 Millionen Tonnen an, während das Kabinett im Juni eine Obergrenze von 482 Millionen Tonnen verabschiedete.

Zu allem Überfluss wurden bei der Zuteilung der Emissionslizenzen CO2-intensive Kohlekraftwerke gegenüber effizienten Gaskraftwerken bevorzugt. Sie erhalten mehr Lizenzen, und Rot-Grün schrieb für künftige Kraftwerke nicht einen einheitlichen Abgaswert pro Kilowattstunde fest, sondern einen für jeden Brennstoff – eine weitere vertane Chance, saubere Technologien zu fördern. Die Konsequenz: Energiekonzerne wie RWE und Vattenfall planen munter den Bau neuer Kohlekraftwerke. „Die Lenkungswirkung solcher Politik ist zugegeben gering“, sagt Landgrebe. Felix Matthes vom Ökoinstitut stimmt zu: „Impulse für eine ökologische Modernisierung werden so kaum gegeben.“

Noch gibt es dafür eine Chance: Der deutsche Zuteilungsplan muss, wie bei allen EU-Staaten, von der EU-Kommission in Brüssel abgesegnet werden. Diese prüft ihn bis zum 31. Dezember und kann ihn mit Auflagen und der Forderung nach strengeren Emissionsminderungen nach Berlin zurückschicken. Es gebe Hinweise, dass dies der Fall sein könnte, sagt Artur Runge-Metzger, zuständiger Referatsleiter der EU-Kommission. Trotz aller Kritik am mangelnden Klimaschutzeifer in Berlin, meint Metzger, dürfte der nächste EU-Fortschrittsbericht in Sachen Emissionshandel Deutschland bescheinigen, seine vom Kyoto-Vertrag gesteckten Klimaschutzziele bis 2012 zu erreichen.

Da es sich beim Emissionshandel jedoch um ein europäisches Instrument handelt, sind die Kosten, Lasten und Nutzen auch europäisch und ungleich verteilt. In Ländern wie Spanien und Portugal mit einem starken Wirtschaftswachsum stiegen die Emissionen deutlich, aber auch in Osteuropa geht die CO2-Kurve wieder nach oben.

Keine Alternative

Ist also Emissionshandel sinnvoll, wenn die Folge nur ein minimaler CO2-Rückgang ist? Hilft der Handel dem globalen Klimaschutz, oder werden, wie Kritiker monieren, CO2-Emissionen von EU-Unternehmen nur verzögert und ins Ausland verlagert? Hat der Handel für die Verbraucher nicht vor allem höhere Energiepreise gebracht und wird somit auf dem Rücken der Stromkunden ausgetragen?

„Der Emissionshandel ist alternativlos“, sagt Klimaexperte Felix Matthes. Seine Chance ist die Flexibilität. Er sei administrativ relativ einfach, forciere den technischen Fortschritt. Doch das Instrument müsse weiterentwickelt werden, damit es kein allzu stumpfes Schwert bleibe.

Stefan Thomas vom Wuppertal Institut führt die deutlich geringeren Emissionen in Deutschland im Jahr 2005 auch auf den CO2-Zertifikatehandel zurück. „Die Bepreisung der Umwelt wirkt.“ Wichtig sei zu verstehen, dass Emissionshandel nur ein Weg ist, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken. Er müsse in ein Gesamtkonzept eingebunden werden, da er nur einen Teil der Wirtschaft erfasst, aber andere klimarelevante Bereiche wie Verkehr und private Haushalte nicht berücksichtigt.

Zwei der vielleicht wichtigsten Argumente für den Handel sind erstens: Er ist international das erfolgversprechendste Mittel. Steuern sind nicht konsensfähig mit den maßgeblichen Klimasündern USA und China. Nur mit Emissionshandel lassen sich andere Staaten an Bord holen. So glauben nur wenige Optimisten, dass die USA bereits nach dem Ende der Bush-Ära in der ersten Post-Kyoto-Phase dabei sein werden. Emissionshandel könnte jedoch den „Kyoto-Kontinent“ Europa mit weltweit wachsenden „Kyoto-Inseln“ verbinden, zum Beispiel mit jenen regionalen Initiativen in den USA an der Ost- und Westküste, die bereits einen eigenen Handel etabliert und sich ehrgeizige Reduktionsziele gesetzt haben.

Zweitens: Mögen die Ergebnisse in Europa auch mager sein, hat doch der EU-Emissionshandel eine weltweit durchschlagende Wirkung. Er erlaubt, dass Unternehmen durch Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern dort geleistete Einsparungen sich anrechnen und in handelbare CO2-Zertifikate umwandeln lassen können. Durch diesen sogenannten clean development mechanism (CDM) wurde eine riesige Exportmaschine angekurbelt: Veraltete Schornsteine erhalten Filter, moderne ersetzen marode Kraftwerke, Windturbinen und Solaranlagen werden installiert, Mülldeponien saniert und das eingefangene Gas zur Stromerzeugung genutzt. Der Umsatz solcher CDM-Projekte liegt bereits bei rund einer Milliarde Euro pro Jahr.