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Archiv-Artikel

„Parteipolitik macht dumm“

INTERVIEW HANNES KOCH

taz: Die Grünen hatten bislang keinen Vordenker wie Erhard Eppler (SPD) und Heiner Geißler (CDU). Sind Sie der neue programmatische Kopf Ihrer Partei?

Reinhard Loske: Die Interventionen, die ich zusammen mit anderen unternehme, haben den Zweck, das Programm der Partei zu erneuern. Ich persönlich will natürlich, dass die Grünen sich interessant machen. Die Partei läuft ja Gefahr, grau zu werden. Deshalb müssen wir avantgardistische Zeittrends aufnehmen und Ansprechpartner sein für Leute, die Neues denken.

Betrachten Sie sich selbst als Parteipolitiker oder als politischer Denker, der Impulse gibt?

Mein Ehrgeiz ist es, beides zu sein. In meiner Zeit als stellvertretender Fraktionsvorsitzender hat man mir auch nachgesagt, dass ich Gesetze ordentlich verhandelt habe. Die langen Linien zu entwerfen, macht mir aber mehr Spaß.

Können Sie sich ein Leben ohne Parteipolitik vorstellen?

Ich bin ja erst 1998 richtig eingestiegen. Vorher bin ich 15 Berufsjahre sehr gut ohne Vollzeitpolitik ausgekommen. Ich habe eine Bankausbildung gemacht, im nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerium gearbeitet und war Klimaforscher. Streckenweise macht mir Parteipolitik Spaß, aber manchmal ist das Korsett auch verdammt eng, muss ich sagen. Das behagt mir nicht.

Welches Korsett meinen Sie?

Parteipolitik macht immer auch dumm. Sie vereinfacht furchtbar stark. Der andere ist immer der Böse und man selbst ist immer der Tolle. Wobei die Realität ja oft anders aussieht. Mir geht es eher um Veränderungen in allen Sphären der Gesellschaft.

Beim jüngsten Parteitag der Grünen in Köln hatten Sie einen bravourösen Auftritt, viel Beifall, ein sehr gutes Wahlergebnis. Was bedeutet Ihnen die Rolle des Champions?

Mir gefällt es am besten, auch an anderen Leuten, wenn persönliche Ambition und inhaltliche Überzeugung eine Symbiose eingehen.

2006 waren Sie in der Krise, sind als stellvertretender Fraktionschef zurückgetreten, haben Ihrer Partei Traditionspflege vorgeworfen. Spüren Sie jetzt eine neue Offenheit der Grünen?

Auf jeden Fall. Ich freue mich, dass die ökologische Frage wieder stärker ins Zentrum rückt. Das Wahlergebnis, das ich in Köln erzielt habe, sehe ich zuerst als Unterstützung für diese Linie, aber natürlich auch für meine Person.

Warum nimmt die Partei Ökologie jetzt wieder so wichtig?

Sie hat Luft zum Atmen. Wegen des ewigen Gezerres mit der SPD in der rot-grünen Regierung wurde damals noch der kleinste gemeinsame Nenner als größter denkbarer Erfolg verkauft. Obwohl die Bedrohung der Umwelt alarmierende Ausmaße annahm, hat sich der politische Betrieb in Deutschland zwei Jahre mit dem Dosenpfand beschäftigt. Das trug Züge von Absurdität. Die Grünen müssen wieder viel schärfer rangehen.

Kann es sein, dass den Grünen nichts Besseres einfällt als die alte Ökologie?

Der Grund, warum es die Grünen gibt, heißt Ökologie. Im Moment wird Umwelt zum Mainstreamthema auch bei den anderen Parteien, was ich ausdrücklich begrüße. Das Problem ist nur: Deren Rhetorik ist gut, die Politik aber schlecht. In diese Lücke müssen die Grünen hineinstoßen. Wir müssen Ökologie systematisch mit der wirtschaftlichen Frage und der sozialen Frage verknüpfen. Das tun die anderen nämlich nicht.

Sie sind der erste grüne Bundespolitiker, der für das bedingungslose Grundeinkommen plädiert. Jeder Bundesbürger soll 850 Euro vom Staat erhalten – egal, ob er arbeitet oder nicht. Haben Sie Unterstützung in Ihrer Partei?

Einige haben sich schon positiv geäußert – etwa der neue Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Wir werden die Debatte jetzt führen und Ende 2007 auf einem Parteitag entscheiden. Ich will, dass die Grünen sich öffnen für diese Idee, auch wenn man sie nicht eins zu eins umsetzen kann. Aber es ist grundsätzlich der richtige Weg, unseren Sozialstaat umzubauen.

Welches ist Ihr wichtigstes Argument für das Grundeinkommen?

Die Würde des Menschen. Jeder ist ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft – unabhängig davon, ob er einer Erwerbsarbeit nachgeht oder nicht. Deshalb muss das würdelose Erbetteln von Sozialtransfers bei allen möglichen Stellen ein Ende haben. Außerdem müssen wir die Bedürftigkeitsbürokratie abschaffen. Die hat ein sehr negatives Menschenbild. Der Mensch wird angeblich nur tätig, wenn man ihn kujoniert und triezt.

Wie sieht Ihr Menschenbild aus?

Ich könnte mit Hannah Arendt beginnen und ihrem Buch „Vita activa“. Der Mensch ist geboren, um tätig zu sein. Aus sich heraus und seiner eigenen Vervollkommnung. Ich gebe zu, das ist auch ein idealisierendes Menschenbild. Aber es ist mit Sicherheit genauso realistisch wie das andere, das uns weismachen will, der Mensch sei ein notorischer Faulpelz.

Bei den Leistungsträgern, von denen SPD-Chef Kurt Beck spricht, hat das Grundeinkommen keine Chance, denn es verstößt gegen eine jahrtausendelang eingeübte Arbeitsideologie. Sie versuchen eine Kulturrevolution.

Auf der Meta-Ebene betrachtet, mag das stimmen. Schon der Apostel Paulus schrieb an die Thessaloniker: „So jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen.“ Trotzdem müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass es der Produktivitätszuwachs immer schwerer macht, Vollbeschäftigung zu erreichen.

Die Arbeit geht uns nicht aus. Die USA, Japan, Schweden oder Österreich sind nahe dran an der Vollbeschäftigung.

Aber was sind das für Jobs? Es ist nicht erstrebenswert, so wenig zu verdienen, dass man drei Arbeitsplätze braucht, um über die Runden zu kommen.

Das gilt für die USA.

Auch die anderen Länder haben Probleme mit dem Zuwachs der Produktivität. Sie müssen permanent ein hohes Wachstum generieren, um für die wegrationalisierten Beschäftigten neue Stellen zu schaffen. Das kann nicht im Interesse der Grünen sein, die auch die Umweltfolgen von Wachstum bedenken.

Das Grundeinkommen würde zwischen 500 Milliarden Euro und 1 Billion pro Jahr kosten. Woher soll dieses Geld kommen?

Größtenteils wird es ja heute schon für Sozialtransfers ausgegeben. Man würde das Geld nur umwidmen und zusammenfassen. 850 Euro für Erwachsene pro Monat sind wohl realistisch, für Kinder die Hälfte. Außerdem müssten wir uns verabschieden von der Finanzierung des Sozialsystems durch Steuern und Abgaben, die die Arbeit belasten. Wir sollten uns hinwenden zur Besteuerung des Konsums und des Ressourcenverbrauchs.

Also Ökosteuer und Mehrwertsteuer. Letztere aber belastet einseitig die Geringverdiener, die verhältnismäßig mehr für Konsum ausgeben als Wohlhabende.

Damit es nicht zu Ungerechtigkeiten kommt, müssen wir die Verbrauchsteuern differenzieren. Es sollte einen niedrigen Satz der Mehrwertsteuer geben für Grundbedarf wie Lebensmittel und Wohnung – so wie heute auch. Dann einen normalen Satz und zusätzlich einen dritten, hohen für Luxusgüter und umweltschädliche Produkte.

Was verstehen Sie unter Luxusgütern?

Geländewagen wie der Porsche Cayenne sind mit Sicherheit Luxusgüter. Dass die Wohlhabenden und Reichen besonders besteuert werden, ist wichtig. Deswegen sollte es auch eine nennenswerte Belastung von Kapital und Vermögen geben.

Sie sagen, Wirtschaft solle für die Grünen mehr bedeuten als Wettbewerb und Profitmaximierung. Was verstehen Sie unter Solidarischer Ökonomie?

Tauschringe, Regionalwährungen, Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaften in der Landwirtschaft, Restauration und Recycling alter Materialien, gemeinnützige Betriebe, die von Spenden leben.

Ist das mehr als eine Nischenveranstaltung, die nur 1 Prozent der Bevölkerung interessiert?

Ja, das Bild wird bunter. Bei mir zu Hause in der Eifel entwickeln sich viele Mischmodelle – Arbeitsplätze, die nur teilweise vom Markt finanziert werden. Deshalb spreche ich von einer „Dual-Ökonomie“. Natürlich haben wir den produktiven Kern der wettbewerbsorientierten Wirtschaft. Aber parallel dazu entwickeln sich mehr und mehr Aktivitäten, bei denen es nicht primär um Produktivitätsfortschritt geht.

Woher kommt das?

Es hat einfach nicht jeder Lust, ständig dem Geld hinterherzurennen. Teilweise sind diese Beschäftigungen aber auch aus der Not geboren.

Leute, die ihre Arbeit verlieren und keine Hilfe erbetteln wollen?

Ja, und genau das würde durch das Grundeinkommen viel leichter. Durch die Befreiung vom Zwang zu falscher Arbeit würden auch neue Räume geschaffen für interessante Tätigkeiten.

Fraktionschef Fritz Kuhn will die Grünen zu einer Wirtschaftspartei machen. Halten Sie das für den richtigen Weg?

Die Grünen sollten ihr wirtschaftspolitisches Profil schärfen. Einfach deshalb, weil uns nur knapp 2 Prozent der Bevölkerung eine ökonomische Kompetenz zuschreiben. Das darf so nicht weitergehen.

Sind die Grünen eine Unternehmerpartei?

Nein. Aber ich plädiere dafür, dass die Grünen ein positives Unternehmerbild bewahren. Freude an freier Tätigkeit und Veränderungswillen in gesellschaftlicher Verantwortung, das passt zu uns. Das grüne Wirtschaftsmotto sollte lauten: „Geld verdienen, Spaß haben und die Welt verbessern!“

Fänden Sie es gut, wenn mehr Menschen bereit wären, mehr Risiko auf sich zu nehmen?

Unbedingt. Aber es muss ein Netz geben, damit sie nicht ins Bodenlose fallen, wenn sie scheitern.