Lieb mich ein letztes Mal

Roland Kaiser ist über fünfzig und kein Schlager-Sexprotz mehr, aber natürlich singt er weiter von den Freuden und Gefahren der körperlichen Liebe im Ausland. Er gastierte jetzt im Friedrichstadtpalast

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Seit 30 Jahren singt Roland Kaiser deutsche Schlager, 80 Millionen Tonträger hat er verkauft, ist aktives SPD-Mitglied, engagiert sich für Ausbildungsplätze für Jugendliche – und auch 33 Jahre nach seiner ersten Single ist der Friedrichstadtpalast zwei Tage hintereinander ausverkauft.

Schon fünf nach acht schreien am Montagabend die Frauen im Publikum nach ihrem „Rolli, Rolli!“ Mit dem Auftreten eines erfahrenen Versicherungsvertreters begrüßt der sein Publikum, wünscht „ein gutes neues Jahr – und vor allem Gesundheit für Sie“. Er verrät: „Ich habe mein Leben lang versucht, Texte zu schreiben, die jeder nachvollziehen kann“, was nicht schwerfällt, als er dann von seinen Trennungsritualen berichtet: „Man geht essen und dies und das – und dann geht man noch einmal ins Bett miteinander.“ Entfesseltes Gekicher im Publikum. „Roland, du geile Sau!“, ruft eine Männerstimme, dann folgt der Hit „Lieb mich ein letztes Mal“.

Es ist die für den Schlagerbereich recht seltene sexuelle Eindeutigkeit, die Kaisers Texte auszeichnet. Da ist der Herzschlag, „der Rhythmus des Liebesspiels“, man „rennt auf das Feuer zu“ und genießt „die Ruhe nach dem Sturm“. Das Publikum schwenkt ausdauernd Arme und phosphorbetriebene Winkelemente, die Liedanfänge werden nach 1,5 Sekunden erkannt und bejubelt. „Roooland!“ kreischende Freundinnen liegen sich reihenweise in den Armen. Und wer erwartet hat, hier entfesselte Muttis der Generation 50 plus zu treffen, wundert sich. Viele Frauen um die 30, mit blonden Fönfrisuren und modischen Stiefeletten sind im Saal, einige treten schüchtern an den Bühnenrand und überreichen Rosen in Cellophan.

Schon im ersten Teil der Show singt Kaiser sein bestes Lied: „Manchmal möcht’ ich so gern mit dir Hand in Hand ganz nah an einem Abgrund stehen. Manchmal möchte ich schon mit dir eine Nacht das Wort ‚Begehren‘ buchstabieren.“ Aber buchstabieren reimt sich auf „zu viel riskieren“, und prompt ist es dann auch so weit: „Du verlierst den Mann, ich verlier’ den Freund.“ In diesem Lied wird eine Grundproblematik der Kaiser’schen Textwelt aufgeworfen: Der Seitensprung im Pauschalurlaub. Das amouröse Abenteuer, das erst willkommene Abwechslung zum Ehetrott ist, dann aber direkt ins Verderben führt. Bei Roland Kaiser sind gebrochene Herzen immer gleich zerbrochene Lebensentwürfe, bedeutet ein Seitensprung das Aus, hängen an einer Beziehung ganze Doppelhaushälften, Kredite, Bausparverträge und Insolvenzen.

Auch der größte Kaiser-Hit „Santa Maria“, im Original von Oliver Onion, befasst sich mit den Freuden und Gefahren der körperlichen Liebe im Ausland. Nachts wird an schneeweißen Stränden ihre Jugend in den Händen gehalten und der Schritt „vom Mädchen bis zur Frau“ gewagt. Kann es sein, dass in dem Subtext dieser Entjungferungslyrik die Abenteuer eines deutschen Sextouristen beschrieben werden? Gendertechnisch gesehen liegt Roland Kaiser mit seinen Texten sowieso nicht sehr weit vorn: Auch Joana, „geboren um Liebe zu geben“, wird doch sehr zum Objekt gemacht und auf ihre sexuelle Funktion reduziert.

Musikalisch ist das Konzert ein klein wenig enttäuschend. Wer in den frühen 80er-Jahren in der Jugendclique gern aus der Faszination des Schreckens heraus Roland-Kaiser-Lieder grölte, hat nun die eigene, sehr energetische Version in Erinnerung. Die seichte, aber werktreue Live-Interpretation fällt dahinter zurück: Zwei Keyboards müllen mit ihren Soundteppichen alles zu, die elektrische Gitarre hört man nur bei einem Standard-Ekel-Solo, und auch die Backgroundsänger lassen echtes Feuer vermissen. Roland Kaiser ist stimmlich noch voll da, hat aber die Rolle des Sexprotzes, des Connaisseurs, des Mannes, der die Frauen liebt, aufgegeben. Er wirkt leicht hölzern, eine stille Grundtrauer scheint ihn zu umgeben – wie einen traurigen Philosophen, gefangen im Körper eines deutschen Schlagersängers.