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Archiv-Artikel

Wer in die zweite Reihe muss

JUBILÄEN Kleist, Frisch oder der Grantler Thomas Bernhard

Runde Literaturgeburtstage funktionieren ein wenig wie Aufräumaktionen im Bücherregal. Man nimmt sich einen Autor mal wieder gesondert vor, schaut sich die Bestände an und überlegt sich, ob man sie wieder einmal abstauben oder aber vielleicht allmählich in die zweite Reihe stellen sollte.

Gerade sind einige solcher Aufräumaktionen in Gange. Das Kleist-Jahr zum 200. Todestag des Dichters (im November) hat kräftig angefangen, Tendenz: unbedingt ordentlich Staub von den Werken dieses Klassikers der Unbedingtheit pusten. Bei Max Frisch, 100. Geburtstag im Mai, gibt es auch Bemühungen in diese Richtung. Ob es klappt? Die Tendenz bislang: in Richtung zweite Reihe mit „Homo Faber“, „Stiller“ und „Montauk“.

Der interessanteste Fall ist Thomas Bernhard, dessen 80. Geburtstag am 9. Februar anstünde. Der Suhrkamp Verlag hat zu diesem Termin Interviews, Leserbriefe und Beschimpfungen, für die Bernhard zeitlebens bekannt war, zu einem repräsentativen Hardcoverband zusammengebunden. Nun war das Verhältnis dieses Schriftstellers zu Österreich im Besonderen und der Welt im Allgemeinen naturgemäß immer das Allerprekärste – aber was dieser Band denn nun genau soll, wird nicht recht klar.

Als Materialsammlung wäre das durchaus okay, zum Beispiel die Wiederlektüre des André-Müller-Gesprächs mit Bernhard. Aber alles in allem sieht der Band schon arg danach aus, als solle das Grantler- und Schimpferklischee, das schon zu Bernhards Lebzeiten dann und wann nervte, noch einmal aufgewärmt werden. Bernhard als stellvertretender Beschimpfer der Dummheit der Welt – diese Figur ist längst historisch geworden und sollte man allmählich in die zweite Reihe stellen.

Ganz anders eine CD-Box im Audio-Verlag. Ulrich Matthes, Peter Simonischek, Wolfram Berger, Burghart Klaußner und Gert Voss lesen die fünf autobiografischen Bücher Bernhards. Nachrichten aus einem versehrten Leben und die Entdeckung der Musik: Auf diesem Überlebensroman eines gefährdeten, um seine Stimme und – aufgrund seiner Lungenerkrankung – um seinen Atem ringenden jungen Menschen liegt noch kein Staubkorn. Der Geburtstag ist ein guter Anlass, das mit so einer CD-Box zu feiern. DIRK KNIPPHALS