: „Familiensituation ist wichtig“
Dafür, dass durchs Sparen in Bremen das Kindeswohl gefährdet ist, sieht Helmut Pflugradt (CDU)„keine Anhaltspunkte“. Der Vorsitzende des Kevin-Untersuchungsausschusses im taz-Interview
Interview: Eiken Bruhn
taz: Herr Pflugradt, der Untersuchungsausschuss geht in die dritte Woche. Wie zufrieden sind Sie mit dem Verlauf?
Helmut Pflugradt: Zufrieden ist nicht das richtige Wort. Bei vielem, was ich bisher gehört habe, ist deutlich geworden, dass an vielen Stellen eine Dienstaufsicht fehlt und dass die Kooperation und Koordination zwischen den Dienststellen nicht funktioniert. Zum Beispiel zwischen der PiB (Pflegekinder in Bremen, Anm. d. Red.) und Jugendamt oder Bewährungshilfe und Jugendamt. Da gab es im Fall Kevin viele Puzzle-Teile, die nicht zusammengesetzt wurden.
Aber es läuft doch darauf hinaus, dass der verantwortliche Fallmanager alles wusste – und nichts unternommen hat.
Das ist richtig, aber ein solches individuelles Versagen ist nur bei strukturellen Mängeln möglich, wie ich sie gerade geschildert habe. Ich möchte aber auch ganz deutlich sagen, dass es bisher keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass finanzielle Gründe dabei eine Rolle gespielt haben. Es ist keine Maßnahme unterblieben.
Außer das Kind rechtzeitig aus der Familie zu nehmen. Der Leiter des Kinderheims, in dem Kevin zweimal kurz war, hat 2005 nur noch halb so viele Kinder in Obhut bekommen wie die Jahre davor.
Aber er hat keinen einzigen Fall nennen können, bei dem einem Kind diese Inobhutnahme verweigert wurde.
Wie hätte er das auch tun sollen, da er ja nur die Kinder sieht, die von Polizei oder Jugendamt gebracht werden?
Ich bleibe dabei, es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass finanzielle Gründe dabei eine Rolle gespielt haben.
Im Untersuchungsausschuss geht es sehr viel um die Familienverhältnisse. Haben Sie ein Bild davon gewinnen können, wie es in Kevins Familie ausgesehen hat?
Es ist recht eindeutig, dass der Ziehvater von Kevin das Problem in der Familie war. Der hatte offenbar schauspielerische Fähigkeiten. Das haben nicht alle gemerkt, die mit der Familie zu tun hatten. Ich erwarte aber von professionellen Helfern, dass sie erkennen, wenn ihnen etwas vorgespielt wird.
Wozu müssen Sie sich eigentlich die Beziehung von Kevins Eltern erklären lassen? Schließlich soll doch geklärt werden, wie ein Kind unter staatlicher Aufsicht zu Tode kommen kann.
Die Familiensituation ist sehr wichtig für den Gesamteindruck.
Auch ob die Mutter während ihrer Schwangerschaft angemessene Muttergefühle hatte?
Eine solche Frage habe ich nie gestellt.
Aber auch Sie haben nachgefragt, wenn es um die Persönlichkeiten der Eltern ging. Ist das nicht eher in den Gerichtsverfahren interessant, in denen die individuelle Schuld und Motive geklärt werden?
Ich sage es noch einmal, im Untersuchungsausschuss geht es um die Strukturen im Jugendhilfesystem, aber auch um den Fall Kevin. Den muss man insgesamt ausleuchten.
Werden denn auch noch Zeugen gehört, die nichts zu Kevin zu sagen haben, sondern zu den Zuständen in der Jugendhilfe?
Ja, selbstverständlich.
Bürgermeister Jens Böhrnsen hat vergangene Woche gesagt, dass Geld keine Rolle spielen soll, wenn es um Verbesserungen im System geht. Nun haben Sie gerade gesagt, dass es keinen finanziellen Mangel gibt. Steht da ein Koalitionsstreit bevor?
Das habe ich so nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass es bisher keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass in Bremen das Kindeswohl gefährdet ist, weil gespart wird. Sollte sich herausstellen, dass bestimmte Maßnahmen erforderlich sind, dann muss man das Geld dafür bereitstellen.
Auch für mehr Mitarbeiter im Amt für Soziale Dienste?
Dazu muss man erst einmal klären, welchen Bedarf es konkret gibt.