: Escape from the Gremlins
Nach seiner Absage beschwert sich Günther Jauch bitterlich über die ARD und ihre „Gremien voller Gremlins“. Dabei geht es um Wichtigeres: Wie soll der neue ARD-Polittalk überhaupt aussehen?
VON STEFFEN GRIMBERG
Wegen der Absage von Günther Jauch (50), ab September den ARD-Polittalk am Sonntagabend von Sabine Christiansen zu übernehmen, wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen in der Bundesrepublik Deutschland zum 31. Januar abgeschafft. Keine Frage: Wer, wenn nicht Jauch, der alerte Junggebliebene, den das deutsche Volk jederzeit ohne mit der Wimper zu zucken auch zum Füh-, pardon: Bundeskanzler haben wollen würde, kann dieses Siechtum auf insgesamt 13 analogen Kanälen von A wie Arte bis Z wie ZDF retten?
Hallo?! Geht’s vielleicht auch eine Nummer kleiner? Ja, Günther Jauch ist tatsächlich ein guter Moderator, manchmal aalglatt, immer wenig wehtuend, dabei stets nett anzuschauen. Als Sportberichterstatter brilliert er ebenso, ein echter Allrounder eben. Denn Jauch ist – selbst wenn ihm das derzeit manchmal abgesprochen wird – natürlich auch Journalist. Nur dass er das nicht immer so raushängen lässt.
Ein Messias, noch dazu für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem man getrost hier und da ein bisschen mehr höheren Beistand wünschen würde, ist Günther Jauch aber nicht. Denn für einen Messias ist Jauch ein viel zu schlechter Verlierer.
Nachzulesen ist das ab heute im aktuellen Spiegel. „Jeder drittklassige Bedenkenträger schlug ein anderes Pflöckchen in den Boden. Jeder hatte eine Meinung – im Zweifel eine unfreundliche“, nöckelt Jauch. Natürlich sei ihm klar gewesen, dass die Rundfunkräte „ein scharfes Auge“ auf seinen Vertrag mit der ARD haben würden: „Aber dass monatelang jede Woche Gremien voller Gremlins der Verführung nachgeben würden, mit meinem Namen auch mal den eigenen in der Zeitung zu lesen – das war schon anstrengend.“
Sauber, der Herr. Da haben Sie’s der ARD aber gegeben. Da hätte es das halbe Dutzend Folgesätze über die „Irrlichter“ und „Wichtigtuer“, die Kleinmütigen aus der „zweiten und dritten Reihe der ARD“ oder das „nachgeordnete Niederwild“, das „mit dem Hintern einreißt, was die Chefs mit dem Kopf gerade erst aufgebaut haben“, gar nicht gebraucht.
Klar, Jauch spielt in der Chefliga. Da reden echte Kerle und machen ihr Ding. Dummerweise sind diese irrlichternden Wichtig-Gremlins – bei aller Kritik, die man an Rundfunkräten haben kann – ordentlich legitimierte Gremien, die die Selbstverwaltung und damit den Kern des staatsfernen, öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausmachen. Diese Gremlins wählen die Chefs halbwegs demokratisch. Immer noch mit viel zu viel politischer Einflussnahme von Parteien und Staatsklüngel. Aber so verzweifelt man über sie sein mag: Wer sie in Frage stellt und derart dämlich abqualifiziert, tritt damit auch den ganzen Rest in die Tonne. Und die eigene Glaubwürdigkeit dazu.
Hier liegt das eigentlich Interessante an der ganzen Jauch-Nummer: Mit dem sonst immer für unfehlbar gehaltenen Mr. Knigge des deutschen Fernsehens gehen die Pferde durch. – Wie muss sich Jauch in Wahrheit geärgert haben!
Dabei hatte ihm der ARD-Vorsitzende Fritz Raff noch einen Tag vorher ein Fleißkärtchen erteilt, das so ins schönste Jauch-Image passte: „Wenn man heute nachliest, wie Herr Jauch und wir uns zu dem Vorgang äußern, merkt man, wie vernünftig das passiert und wie vernünftig wir auch in Zukunft miteinander umgehen wollen“, sagte Raff im Tagesspiegel. War das am Ende pure Provokation für Jauch? Wie auch immer: Seinen Gegnern in der ARD konnte nichts Besseres passieren. Denn Jauch macht in seinem Spiegel-Rundumschlag auch klar, was er von der neuen Transparenz und den Kontrollbefugnissen hält, die sich die Anstaltsgremien nach den diversen ARD-Skandalen der letzten Zeit ertrotzt haben: nichts nämlich. Der an allen Gremien vorbeigeschleuste Vertrag mit dem Spätheimkehrer Harald Schmidt, die absurden Zusatzprämien für den gestrauchelten Radmessias Jan Ullrich, die Nibelungentreue zum am Ende an einer Margarine-Connection im Vorabendprogramm gescheiterten Sportkoordinator Hagen Boßdorf? – „Mag sein“, sagt Jauch auf die Frage, ob beispielsweise im Fall Schmidt nicht manches zu Recht kritisiert worden sei. Das ist, bei allem Respekt vor Jauchs Wunsch nach Unabhängigkeit, zu wenig.
Aber es lässt endlich Raum für die entscheidenden Fragen: Wie soll, wie kann ein neuer ARD-Polittalk am Sonntagabend überhaupt aussehen? Was wäre wichtig: eine ähnliche, beachtliche Zahl von Menschen wie bei „Christiansen“ überhaupt an ein politisches TV-Format zu fesseln – egal wie viel oder wenig dabei herauskommt? Oder den Mut zu haben, es anspruchsvoller, parteipolitikferner zu gestalten? – Das übrigens wollte Jauch – und hier hat er völlig Recht.
Vielleicht sollte sich die ARD mehr Zeit nehmen als bis Anfang Februar, um die „Christiansen“- bzw. Jauch-Nachfolge zu küren. Und vom Format, der Sendung her denken und nicht noch mal die Ankunft eines Erlösers auf Erden inszenieren.
Wir schauen so lange gern weiter „Christiansen“. Auch wenn man in der gestrigen Sendung statt der anwesenden Gesprächspartner zur Jobkultur viel lieber die öffentlich-rechtlichen Damen und Herren Piel, Pleitgen, Plog und Plasberg gehabt hätte. Mit einem Experten vom privaten Fernsehen vielleicht. Zum Beispiel Günther Jauch.